– Offiziellen Avis vum Aktiounskomitee als — PDF roflueden.
– Rieden vum Aktiounskomitee virun der Chamberskommissioun
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1) VORBEMERKUNGEN
a) Ziele der staatlichen Studienbeihilfe
b) Urteil des EUGH
c) Haushaltspolitischer Rahmen
d) Ausgangspunkt: Aktuelle Studiensituation
e) Vorgängermodell und Impakt
2) DETAILKRITIK 6670
a) Basisunterstützung und Unabhängigkeit
b) Mobilitätszulage und reale Studienkosten
c) Soziale Unterstützung und Sozio-ökonomische Hürden
d) Kredit und Verschuldung
e) Weitere Kritik
3) ÖFFENTLICHE DEBATTE
a) Kritik einzelner Organisationen
b) Rhetorik und öffentlicher Diskurs der Regierung
c) Rhetorik unter Studierenden und Schüler*innen
d) Vorgehen des Aktionskomitees
e) Tatsächliche Vorgehensweise der Regierung
4) VERHANDLUNGSPOSITIONEN UND KONSENSVORSCHLÄGE
a) Gemeinsame „Minimalforderungen“
b) Notwendigkeit eines komplett anderen Systems?
c) Konsensmöglichkeiten und Verhandlungspositionen der Regierung
d) Ideen für eine bedarfsorientierte Gestaltung der Beihilfen
5) FAZIT
„Et spuert een net un der Bildung!“
Standpunkt des Aktionskomitees 6670 zur geplanten Reform des Studienbeihilfensystems
„De Gesetzesprojet 5611 ass hei am Land jo e Synonym gi vu Jugendprotester; d’Jugend, déi géint dëse Projet de Loi op d Strooss gaangen ass. Eng Situatioun, déi ongewinnt ass hei am Land, déi mer laang net haten an eis duerfir och soll deementspriechend ze denke ginn.“
Claude Meisch (Als Oppositionspolitiker 2006 anlässlich der letzten großen Schüler*innen- und Studierendenproteste)
Einleitung
Minister Claude Meisch reichte das Gesetzesprojekt 6670 am 20. März 2014 im Parlament ein. Zuvor hatte der Minister sich zwar, wie auch seine Vorgängerin bereits, mit einigen Studierendenvertreter*innen (u.a. UNEL, ACEL und LUS) getroffen, die geäußerten Bedenken und Kritiken wurden allerdings im Gesetzesvorhaben nicht berücksichtigt. Es scheint, als sei die Verlockung zu groß gewesen hier gleich zu Beginn der Legislaturperiode ein Zeichen im Sinne der verordneten Sparpolitik zu setzen.
Durch das Kürzungsprogramm beim System der Studienbeihilfen sollten also gerade die Jüngsten der Gesellschaft den ersten Beitrag zur Sanierung des Staatshaushalts leisten.
Auf dieses fatale Signal der Politik antworteten die Schüler*innen und Studierenden am 25. April mit der größten Demonstration seit Jahrzehnten. 17.000 junge Menschen waren dem Aufruf eines kurz zuvor gegründeten Streikkomitees gefolgt und setzten ein ermutigendes Zeichen gegen die eigene Zukunftsangst. Diese junge Generation ist bereit, den Kampf um die eigenen Rechte aufzunehmen.
Im vorliegenden Text geht das Aktionskomitee 6670 im Detail auf des Gesetzesprojekt 6670 ein und zeigt wesentliche Schwächen auf. Zusätzlich werden Pisten aufgezeichnet, die eine zeitnahe Verbesserung des Gesetzes ermöglichen sollen.
Aus dem Streikkomitee wurde kurz nach dem Streik, animiert durch großen Zuwachs, das Aktionskomitee 6670. Dieses setzt sich zusammen aus den Studierendenvertretungen UNEL, LUS, dem Künstler*innenkollektiv Richtung22, den Jugendparteien JSL, Jonk Lénk, JCL, Jonk Piraten, den Schülerkomitees der Schulen LGL, LGE und LCD sowie einzelnen engagierten Schüler*innen und Studierenden. Solidarisch erklärt haben sich die Gewerkschaften OGBL, LCGB, ALEBA, SNE CGFP, SEW, die Parteien Déi Lénk und Piratepartei, die Chambre des Salariés, die Österreichische Hochschüler*innenschaft, die französische Union des Etudiants Communistes UEC, die europäische Schüler*innenvertretung OBESSU und die europäische Studierendenvertretung ESU.
Im Folgenden sollen erst einige Vorüberlegungen den Rahmen der Auseinandersetzung um den Gesetzestext 6670 darstellen. Danach werden die einzelnen Elemente des Gesetzestextes unter die Lupe genommen und kritisch kommentiert. Das Aktionskomitee zeichnet zudem jeweils eine Piste für notwendige Verbesserungen auf. Nachdem kurz auf die öffentliche Debatte eingegangen wird, die sich rund um die Proteste entwickelt hat, schließt das Aktionskomitee den vorliegenden Text mit dem Darlegen der eigenen Kompromissvorschlägen und einem Fazit ab.
[Da es ebenfalls ein Recht auf die „Studien“-beihilfe des luxemburgischen Staats für diejenigen gibt, die sich für eine (Berufs-)Ausbildung außerhalb von Luxemburg entscheiden, sind den in den folgenden Kapiteln aufgeführten „Studierenden“ immer die „Auszubildenden“ hinzuzufügen.]
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1) VORBEMERKUNGEN
a) Ziele der staatlichen Studienbeihilfe
Die selbstauferlegte Zielsetzung des neuen Beihilfen-Systems wird im Gesetzestext klar definiert:
„Le présent projet de loi vise la mise en place d’un système d’aide financière pour études supérieures qui premet l’accès aux études supérieures et qui permet à l’étudiant d’exercer son droit à l’éducation. Le système se veut équitable, il garantit l’indépendance de l’étudiant, il prend en compte les frais réels pour subvenir aux besoins de l’étudiant et il respecte la situation socio-économique de l’environnement dans lequel vit l’étudiant.“ (Projet de Loi 6670, Seite 3)
Vier Grundpfeiler sind demnach festzumachen. Das Gesetz soll
– Jedem Menschen mit entsprechendem schulischem Abschluss und Weiterbildungswunsch den Zugang zu einem Studien- oder Ausbildungsplatz ermöglichen.
– Die Unabhängigkeit des Studierenden sicherstellen.
– Sozio-ökonomische Hürden aus dem Weg räumen um ein gerechtes System schaffen.
– Die Höhe der Studienbeihilfe an die realen Lebensbedingungen der Studierenden anpassen.
Mit dieser grundlegenden Zielsetzung ist auch das Aktionskomitee 6670 einverstanden. im Folgenden das vorliegende Gesetzesprojekt an genau diesen Maßstäben messen.
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b) Urteil des EUGH
Startpunkt der, für viele Kommentator*innen und Kritiker*innen äußerst überhastet initiierten Reform der Studienbeihilfen, ist die Verurteilung Luxemburgs durch den europäischen Gerichtshof am 20 Juni 2013. Der EuGH stellte eine Diskriminierung der Grenzgänger*innen fest, die zwar in Luxemburg arbeiten, Steuern bezahlen und den Wohlstand des Landes mit sichern, allerdings nur unzureichend von den Leistungen des Staates, die Studierenden gewährt werden, profitieren.
Aus dem Ausgang des Gerichtsurteils ergeben sich für das Aktionskomitee zwei Lehren, die es unbedingt bei der Reform der Studienbeihilfen zu beachten gilt:
1) Das neue Gesetz darf keine Benachteiligung der Grenzgänger*innen verursachen.
2) Das neue Gesetz darf nicht, wie bereits sein Vorgänger 2010, unter Zeitdruck entstehen sondern muss den aktuellen Ansprüchen an ein modernes Studienbeihilfensystem gerecht werden können.
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c) Haushaltspolitischer Rahmen
Die Reform der Studienbeihilfen wird zeitgleich mit ersten Reformen der Regierung in Angriff genommen, die alle zum Ziel haben, die Ausgaben des Staates zu reduzieren. Auch die Einsparungen, die jetzt durch die Kürzung der Studienbeihilfen gemacht werden sollen, wurden von der federführenden DP schon aus der Opposition heraus unter dem Motto „Sozialausgaben bremsen“ [1] gefordert. In der Regierung wird diese Forderung nun rhetorisch angepasst. Anstatt Ausgaben zu reduzieren wolle man lediglich „Ausgaben-Explosionen“ wieder auf ein normales Maß zurückführen.
Premierminister Xavier Bettel formulierte anlässlich seiner Rede zur Lage der Nation:
„Et hat een am Joer 2010 dermat gerechent, dass dës Reform de Staat am éischte Joer 55 Milliounen Euro géif kaschten. Et waren dunn awer 88 Milliounen Euro an dësst Joer wieren et 178 Milliounen Euro gewierscht. Dat ass eng Dépense fir de Staat, déi sech méi, wéi verdräifacht huet an dofir e System, dee beim beschte Wëllen net ze finanzéieren ass.“[2]
Xavier Bettel übergeht hier den Fakt, dass parallel zu den steigenden Ausgaben für die Studienbeihilfen auch die Zahl derjenigen, die auf diese staatliche Hilfe zurückgreifen müssen gestiegen ist (Von 8.562 Beihilfen 2009/2010 die als Basis für die Berechnung von 2010 dienten, auf die 25.000 Beihilfen von denen das Gesetz 6670 nun ausgeht und auf denen Bettels 178 Mio. Schätzung basiert. Dies stellt ebenfalls ein Verdreifachen dar) [3]. Dadurch, dass die Notwendigkeit höherer Ausgaben nicht durch die steigende Anzahl der Studierenden erklärt wird, kann die Regierung einen imaginären budgetären Kader für die Studienbeihilfen setzen. Nur innerhalb dieses forcierten Rahmens geht das nächste Studienbeihilfensystem als „finanzierbar“ durch.
Bildungsminister Meisch spricht ebenfalls von Einschränkungen budgetärer Natur, weigert sich aber einzugestehen, dass diese budgetäre Einschränkungen an und für sich ein Hindernis für eine bedarfsorientierte Reform darstellen könnten. Der folgende Auszug zeigt inwiefern die Regierung nun auf einen rhetorische Doppelstrategie setzt:
„Claude Meisch: […] wir haben einen Rahmen, der bereits abgesteckt ist.
Tageblatt: Der da wäre?
Claude Meisch: Das ist einerseits das Regierungsprogramm, das von sozialer Selektivität und Bedarfsorientierung spricht: Und wir haben budgetäre Zwänge, die wir nicht ignorieren können.“ [4]
Für das Aktionskomitee steht fest, dass eine bedarfsorientierte Reform des Studienbeihilfesystems nur in Unabhängigkeit zu budgetären Überlegungen stattfinden kann.
Das Aktionskomitee ist zudem der Überzeugung, dass Kürzungen bei den Studienbeihilfen zur Haushaltssanierung eine kurzsichtige Strategie sind. Anstatt von Ausgaben muss im Falle von Studienbeihilfen von Investitionen gesprochen werden, die sich auch finanziell für einen Staat rechnen.
Die OECD kommt in ihren Untersuchungen zu Bildungsausgaben, (neben der Erkenntnis, dass etwa die luxemburgischen Ausgaben für nicht-tertiäre Bildung vergleichsweise niedrig sind und für die Ausgaben für tertiäre Bildung Daten aus Luxemburg fehlen) zusammenfassend zum Schluss:
„Ausgaben für Bildung stellen eine Investition dar, die das Wirtschaftswachstum stärken, die Produktivität steigern, die persönliche und gesellschaftliche Entwicklung fördern und soziale Ungleichheiten verringern kann. Welcher Anteil der insgesamt zur Verfügung stehenden Finanzmittel für Bildung ausgegeben wird, ist eine Frage von zentraler Bedeutung, und zwar für die Regierungen ebenso wie für Unternehmen und für die Schüler/Studierenden und deren Familien.“[5]
Das Aktionskomitee betont, dass Bildungsausgaben auch eine präventive Maßnahme einer Regierung sind um zukünftig zB. der Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken. Eine Gesellschaft, deren materielle Grundlagen zunehmend an Wissen und geistige Fähigkeiten gebunden sollte ausreichende Mittel in die Bildungsfinanzierung investieren.
Zudem sei angemerkt, dass Luxemburg durch jeden Studierenden der im Ausland studiert (ca. 78%) eine Ersparnis von schätzungsweise 14.000€ im Jahr entfällt: Geld, dass das sonst für heimische Studienplätze aufgebracht werden müsste. Der OECD-Schnitt der staatlichen Ausgaben pro Student*in und Jahr beträgt 18.258$ [6]. Natürlich sind einige Studiengänge deutlich teurer: Für eine(n) Medizinabsolvent*in bezahlt der deutsche Staat im Schnitt 211.400€ [7].
Dieses Gedankenbeispiel verdeutlicht, dass gerade das luxemburgisches Spezifikum des massiven Bildungsimports es ermöglicht ein leistungsstarkes Stipendiensystem zu garantieren ohne, dass die kumulierten Bildungsausgaben pro Studierenden die der Nachbarländer übersteigen.
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d) Ausgangspunkt: Aktuelle Studiensituation
Für das Aktionskomitee steht fest, dass das neue Studienbeihilfensystem eine Antwort auf die Herausforderungen für die jungen Generationen des 21ten Jahrhunderts und die reale Studiensituation derjenigen sein soll, die auf dieses Angebot des luxemburgischen Staats zurückgreifen. Der erste große Mangel des Gesetzesprojekts 6670 besteht darin, dass die wissenschaftliche Grundlage komplett fehlt. Somit fehlt die Erkenntnis über die sozio-ökonomischen Hintergründe der Studierenden, über die Faktoren, die die Wahl ihres Studiengangs oder -ortes beeinflussen, über die realen Lebenshaltungskosten etc. Gerade diese Daten sind für ein effektives Studienbeihilfensystem jedoch unabdingbar. Im Folgenden sollen einige Studien bekannte, überall in Europa auftretende, Phänomene aufzeichnen um die Herausforderungen für die Studierenden von heute etwas besser einordnen zu können.
Studierneigung – soziale Durchmischung von Studierenden
Über die Studierneigung luxemburgischer Schüler*innen oder die soziale Durchmischung luxemburgischer Studierenden gibt es keine Studien.
Es ist jedoch anzunehmen, dass sich Bildung in Luxemburg ebenso „vererbt“ wie in anderen europäischen Ländern:
– Kinder aus Akademiker*innenhaushalten studieren viel öfters als Kinder von Nicht-Akademiker*innen. So gaben in einer Studie, die ein halbes Jahr vor dem Abitur durchgeführt wurde, 78 % von Kindern aus Akademiker*innenhaushalten an, dass ein Studium zumindest in Frage kommen würde, bei Kindern, deren Eltern keinen Hochschulabschluss haben, waren es nur 65 %, wovon jedoch nur lediglich 43 % sicher ein Studium beginnen wollten. Dies gilt auch für Schüler*innen mit überdurchschnittlich guten Leistungen: „76 % der Akademikerkinder mit einem zum Befragungszeitpunkt überdurchschnittlichen Leistungsstand (Note zwischen 1,0 und 2,1), aber lediglich 58 % der Schülerinnen und Schüler der Vergleichsgruppe aus nicht-akademischen Elternhäusern möchten sicher oder sehr wahrscheinlich studieren (Heine und Quast, 2009, 37).
– Neben sozialen Faktoren (akademischer Habitus) spielen die finanziellen Sorgen eine substanzielle Rolle bei der Entscheidung für oder gegen ein Studium: „Für knapp ein Drittel der Befragten (30 %) stellt die Finanzierung von Studium oder Ausbildung ein zentrales und persönlich belastendes Problem bei der Planung ihres nachschulischen Werdegangs dar (Heine und Quast, 2009, 19).“ Bei Frauen ist dieses Problem stärker (bei 34 %) ausgeprägt (ebenda, 22).
– Jede*r dritte*r Schüler*in verbindet das Studium mit Geldsorgen, wenn die Eltern keine Akademiker*innen sind. Hat ein Elternteil studiert, ist es nur jede*r Vierte*r. Bei Frauen haben die Kosten einen höheren Einfluss auf die Entscheidung als bei Männern (Heine, 2009).
Die hier vorgelegten Zahlen sind bei weitem nicht die einzigen Studien, die es zu diesem Themenbereich gibt (das deutsche Hochschul-Informations-System z.B. publiziert seit den 1980er Jahren hierzu Daten) und sollen die Probleme geringerer Studierneigung bei Schüler*innen aus sozial schwächeren Familien beispielhaft illustrieren.
Eine niedrige Studierneigung aufgrund der finanziellen Situation des Elternhaushaltes und Geldsorgen in Gedanken an ein Studium würden durch das Gesetzesprojekt 6670 zu einer schärferen sozialen Selektion führen: Kinder aus Akademiker*innenhaushalten würden sich weiterhin für ein Studium entscheiden, während weniger Kinder von Nicht-Akademiker*innen den Sprung auf die Universität schaffen würden.
Studierneigung:
Heine und Quast 2008
Christoph Heine: Soziale Ungleichheiten im Hochschulzugang, Gutachten für die Hans-Böckler-Stiftung, 2009
Zeitaufwand, Praktika und Erwerbstätigkeit
In der österreichischen Studierendensozialerhebung des Instituts für Höhere Studien (IHS) wurde das genaue Zeitbudget von Studierenden abgefragt. Durchschnittlich beträgt der Gesamtaufwand für Studientätigkeiten etwa 31 Stunden pro Woche, bestehend aus 12,5 Stunden Anwesenheitszeiten in Lehrveranstaltungen und knapp 19 Stunden für sonstige Studientätigkeiten. Weitere 12 Stunden entfallen für Erwerbstätigkeit neben dem Studium. Daraus ergibt sich ein wöchentliches Gesamtarbeitspensum von 43,5 Stunden. Allerdings variieren diese Zahlen stark nach einzelnen Studienrichtungen und je nach Hochschultyp, so ist es in vielen Fachhochschul(FH)-studien nahezu unmöglich, neben dem Studium zu arbeiten. Viele Studien verlangen außerdem Praktika, die notwendigerweise in vorlesungsfreien Zeiten („Ferien“) absolviert werden müssen. Rund 60 % der Pflichtpraktika sind unbezahlt und dauern im Schnitt 3 Monate. Frauen sind übrigens häufiger in unbezahlten Praktika anzutreffen als Männer.
Das von Medien und Politik gerne gezeichnete Bild von „faulen Studierenden“ lässt sich mit Zahlen also nicht bestätigen.
Es zeigt sich auch, dass Studierende, die neben ihrem Studium arbeiten, länger für ihr Studium brauchen und sich somit eine Art Teufelskreis begeben: durch ihre Erwerbstätigkeit können sie weniger Zeit auf ihr Studium aufwenden. 70% jener Studierenden, welche mit geringer Intensität studieren (und folglich lange für ihr Studium brauchen), geben als Grund dafür Erwerbstätigkeit an.
Quelle: http://ww2.sozialerhebung.at/Ergebnisse/PDF/Studierenden_Sozialerhebung_2011_BAND_2_Studierende.pdf
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e) Vorgängermodell und Impakt
Der Gesetzestext 6670 ist nicht der erste Versuch, Einsparungen auf Kosten der Studierenden zu machen. Um die anstehende Reform einordnen zu können sollen kurz die beiden Vorgängermodelle in Erinnerung gerufen werden. Dies nicht etwa um das neue System nur im Vergleich mit seinen Vorgängern zu messen, sondern lediglich um die im öffentlichen Diskurs oft extrem verkürzte Darstellungen der Regierung mit der wesentlich detaillierteren Analyse der CSL [1] zu konfrontieren.
Vor 2010:
Das System vor 2010 setzte sich vor allem aus der Weiterführung verschiedener Bonifikationen und Beihilfen zusammen, welche sowohl Schüler*innen wie auch Studierenden gleichermaßen über die Familienzulagen zur Verfügung standen. So erhielten auch Studierende (je nach Anzahl der Geschwister) u.a. das Kindergeld in Höhe von bis zu 3.793,2 Euro/Jahr. Auch Steuervergünstigungen für Familien gehörten zu diesem Paket. Die zusätzliche Studienbeihilfe war vom Einkommen der Eltern abhängig und es gab diverse Prämien (Prime d’encouragement) in Höhe von 1.000€ (Bachelor), 2.000€ (Master) bzw. 2.000 bis 8.000€ (Doktorat).
2010 („Modell Biltgen“)
Kindergeld, “Boni d’enfants”, “Prime d’encouragement” sowie alle sonstigen Zulagen wurden für volljährige Studierende vollständig abgeschafft. Im Gegenzug wurde für alle in Luxemburg lebenden Studierenden, unabhängig vom Einkommen der Eltern, eine Studienbeihilfe in Höhe von 6.500 €/Jahr eingeführt. Studierende konnten zusätzlich ein Kredit in Höhe von bis zu 6.500 €/Jahr (fester Zinssatz von 2%) aufnehmen. In Härtefällen (z.B. im Falle einer Behinderung) bekommen Studierende zusätzlich noch eine Beihilfe in Höhe von 500€ sowie einen Kredit in Höhe von 500€. Studiengebühren von 100 € aufwärts bis zu einer Höhe von 3.700 €/Jahr wurden zur Hälfte als Beihilfe, zur Hälfte als Kredit zurückerstattet.
Im Juni 2013 erklärt der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass die bestehende Studienbeihilfe mit europäischem Recht nicht vereinbar ist, da Kinder von Grenzgänger*innen von den Studienbeihilfen ausgeschlossen werden (siehe Abschnitt b). Und so wurden ab Juli 2013 als Übergangslösung die bestehende Studienbeihilfe auf die Kinder der Grenzgänger*innen ausgeweitet.
Es gibt keine Studien, die es erlaubt, den Impakt der verschiedenen Modelle, etwa des „Modells Biltgen“ auf die Situation der Studierenden zu beurteilen, es fehlen wieder einmal die Daten. Das „Modell Biltgen“ wurde von vielen Seiten, unter anderem der UNEL kritisiert, einerseits wegen der Unvereinbarkeit mit europäischem Recht, andererseits wegen der unzureichenden Höhe, welche vor allem eine mangelnde Unterstützung von Studierenden aus sozial schwachen Familien darstellte.
In ihrer Analyse des Gesetzestextes hat die CSL nun einige Modelle aufgestellt um auszurechnen, welche Haushalte durch das neue System im Vergleich zum System vor 2010 Gewinner oder Verlierer sein werden: „Les pertes les plus importantes concernent, notamment en termes relatifs les ménages les plus pauvres“[Avis des CSL – Seite 17].
Das Aktionskomitee mahnt an, dass erheblicher Aufklärungs- und Wissensgenerierungsbedarf besteht. Es ist höchst verwunderlich, dass die Regierung die Studienbeihilfe reformiert, ohne die Auswirkungen des aktuellen Gesetzes zu evaluieren
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2) DETAILKRITIK 6670
In den folgenden Abschnitten beschäftigt sich das Aktionskomitee im Detail mit den einzelnen Säulen des Gesetzestextes.
a) Basisunterstützung und Unabhängigkeit
Analyse und offene Fragen
1) Aus dem Gesetzestext geht nicht hervor, wieso die Höhe der Basisunterstützung bei 2.000€ im Jahr fixiert wurde. Welche Berechnung liegt dieser Summe zugrunde?
2) Mit 2.000€ im Jahr liegt der Basisbetrag, der einzig sichere Betrag der jedem Studierenden zusteht, unter dem Betrag des Kindergeldes.
– Dies stellt eine Diskriminierung von Studierenden gegenüber von Schüler*innen dar. Gleichaltrige Schüler*innen bekommen über das Kindergeld eine wesentlich höhere Zuwendung als Studierende.
– Familien werden stärker belastet, da die Aufgabe, die durch dieses Gesetz entstandene Differenz auszugleichen, ihnen zufallen wird. Dadurch wiederholt sich das Szenario von 2010, dass vor allem sozial schwächere Familien das Nachsehen haben werden.
3) Die Höhe der Basisunterstützung ist in jedem Fall unzureichend um dem Anspruch des Gesetzes, die „Unabhängigkeit des Studierenden“ zu ermöglichen, gerecht zu werden. Claude Meisch gibt an, dass der Basisbetrag sowie der Kredit von max. 6.500€/Jahr die Unabhängigkeit der Studierenden ermöglichen würde.
– Was bedeutet „Unabhängigkeit des Studierenden“? Sollte das vorliegende Gesetz mit dem generieren von „Unabhängigkeit“ das Ziel erreichen wollen, dass Studierende nicht auf zusätzliche Unterstützung des Elternhauses und der damit einhergehenden Beeinflussung, nicht auf einen Nebenjob, und der damit verbundenen Mehrbelastung und wesentlichen Schwächung der Studienleistung sowie nicht auf eine übermäßige Anhäufung von Schulden angewiesen sind, so bietet der Gesetzestext keinerlei Erklärung, wie die Basisunterstützung diesen Anforderungen gerecht werden könnte.
– In Deutschland, mit das preisgünstigste Studienland Europas, beträgt die durchschnittliche Höhe der Miete, die Studierende bezahlen, 298€/Monat, also 3.576€/Jahr[1]. Die Lebenshaltungskosten von Studierenden in Deutschland betragen laut der rezentesten Sozialerhebung des deutschen Studierendenwerks (2012) durchschnittlich 864€/Monat, mindestens aber 794€/Monat[2] also mindestens einem Betrag von 9.528€/Jahr.
– Studieren in Frankreich ist im Schnitt noch erheblich teurer. Die Union Nationale des Étudiants de France (UNEF) setzt die Lebenshaltungskosten für Studierende zwischen 10.500 und 15.500 €/Jahr an[3]. Eine Student*innenenwohnung (25m²) in Paris kostet durchschnittlich 700€/Monat und außerhalb von Paris 500€/Monat.
– „Die durchschnittlichen Gesamtkosten der Studierenden in Österreich belaufen sich im Sommersemester 2011 auf 930€ pro Monat“ hat das Institut für Höhere Studien Wien (IHF) belegt.[4] Das IHS weist darauf hin, dass die Kosten je nach sozio-ökonomsichem Situation der Studierenden steigen. In jedem Fall aber wäre die Unterstützung durch das von Claude Meisch vorgestellte System unzureichend.
– Die britische Regierung gibt in ihrem „Student Income and Expenditure Survey 2007/2008“ [5] an, dass sich zu diesem Zeitpunkt die Lebenshaltungskosten von Studierenden in England (ohne Studien- Einschreibungsgebühren) bei durchschnittlichen £12.254 also bei ca. 14.900€ pro Jahr liegen.
– Weitere Studien zeichnen ein ähnliches Bild für weitere potentielle Studienländer ab [6].
Um die realen Lebenshaltungskosten von Studierenden in Luxemburg mit in diese Analyse einbeziehen zu können, fehlen die notwendigen Statistiken. Diese fehlten allerdings auch den Urhebern des Gesetzesprojekts 6670. Die Universität Luxemburg setzt das Mindestbudget, das Studierende in Luxemburg pro Monat zu Verfügung haben sollten auf 1.000€ an, das entspricht 12.000€/Jahr.[7]
Das Aktionskomitee hält fest
1) Es liegt keine Studie vor, welche die These des Ministers, die Basisunterstützung garantiere die Unabhängigkeit der Studierenden, stützt. Für den im Gesetzestext verwendeten Begriff „Unabhängigkeit“ liegt keine Definition vor.
2) Die Höhe der Basisunterstützung scheint willkürlich festgelegt worden zu sein, sie orientiert sich weder am Kindergeld noch an den Beträgen, die nötig wären um die Unabhängigkeit der Studierenden zu sichern.
3) In der jetzigen Form ist eine Abhängigkeit von einem privaten Geldgeber (z.B. Elternhaus), von Bankschulden (zum im Gesetzesprojekt 6670 vorgesehenen Tarif, aber auch zusätzlich darüber hinausgehend) oder von einem eigenen Einkommen (einhergehend mit starker Belastung und Studienleistungsnachlass) in jedem Fall Realität.
4) In der jetzigen Form bringt die Basisunterstützung eine Reihe von Diskriminierungen in die Verteilung von Sozialleistungen an Familien.
5) Die Motivation, durch dieses Gesetz möglichst viele Einsparungen machen zu können, wird nirgends so deutlich wie bei der Festlegung des Basisunterstützungsbetrags. Diese Einsparungen sind jedoch in keinster Weise nachhaltig, wenn die volkswirtschaftlichen Auswirkungen betrachtet werden.
Das Aktionskomitee schlägt vor
1) In Anbetracht der Tatsache, dass das Gesetzesprojekt das Ziel verfolgt, die Unabhängigkeit der Studierenden zu garantieren („il garantit l’indépendance de l’étudiant“),
2) In Anbetracht der vielen substantiellen Einwände, die u.a. von den Gewerkschaften OGBL, LCGB, ALEBA, SEW und CGFP gemacht worden sind,
3) In Anbetracht des Fehlens einer Studie, die die Lebenshaltungskosten von Studierenden in Luxemburg aufzuzeichnen vermag,
4) In Anbetracht der Kritiken des Aktionskomitees,
den Gesetzestext 6670 im Sinne folgender Vorschläge zu modifizieren:
1) Die nötigen Studien zu konsultieren oder anzufertigen zu lassen, um die „Unabhängigkeit“ von Studierenden je nach Studienort beziffern zu können.
2) Die Basisunterstützung muss deutlich erhöht werden. Eine Verschlechterung der bedingungslosen Unterstützung gegenüber den Familienzulagen von 2010 ist nicht akzeptabel.
3) Die genaue Höhe sollte sich auch nach der Höhe des Kindergelds richten um eine Diskriminierung im Vergleich von Schüler*innen und Studierenden zu verhindern.
4) Die Höhe hängt auch von der Umsetzung der anderen Forderungen ab um schlussendlich wirklich die Unabhängigkeit jedes einzelnen Studierenden garantieren zu können.
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b) Mobilitätszulage und reale Studienkosten
Analyse und offene Fragen
1) Der Gesetzestext ist in seiner Beschreibung und in der Begründung der Mobilitätsbeihilfe nicht nachvollziehbar.
– Aus dem Gesetzestext geht nicht hervor, wieso die Höhe der „Mobilitätszulage“ bei 2.000€/Jahr liegt. Auf welchen Überlegungen basiert dieser Betrag?
– Wieso die Mobilitätsbeihilfe auf einer Höhe mit der Basisbeihilfe liegt, also das selbe finanzielle Gewicht hat, wird auch nicht begründet.
– Auch die Zielsetzung der Mobilitätsbeihilfe bleibt unklar. Welche Bedürfnisse/Kosten sollen damit gedeckt werden? Welches Ziel wird mit dem Einführen dieses Teils der Beihilfe verfolgt?
2) Einziges Kriterium zum Erhalt der Mobilitätsbeihilfe ist das Überqueren einer Landesgrenze zwischen früherem Wohn- und zukünftigem Studienort. Wieso die luxemburgische Regierung in einer Welt (und ganz besondere einer Europäischen Union), in der Grenzen immer unbedeutender werden, mit dieser Maßnahme dagegenhalten möchte ist unklar.
3) Weder die Distanz zum Studienort noch die Frage, ob sich für den Studierenden reale Mobilitäts-Mehrkosten durch Reise- oder Mietkosten ergeben, werden berücksichtigt. Die Höhe der Mobilitätsbeihilfe ist also nicht an realen Kosten der Studierenden festgemacht. Diese sind aber vor allem vom Studienort abhängig. Durch große Differenzen bei den Mietspiegeln in Europa und in den Studienstädten ergeben sich sehr unterschiedliche finanzielle Bedürfnisse der Studierenden. Besonders erschreckend ist der Umstand, dass der Mietspiegel erst als Kriterium angedacht war, es schlussendlich aber nicht in den finalen Gesetzestext geschafft hat [1]. Auch die Reise- und Transportkosten für Studierende sind je nach Studienort unterschiedlich hoch.
4) Das vorgestellte Konzept belastet besonders einige Studierende der Universität Luxemburg, sowie den Studienstandort Luxemburg selbst.
– Konkret benachteiligt sind Studierende aus Luxemburg welche ein Studium an der Universität Luxemburg absolvieren, jedoch nicht mehr in einem Haushalt mit ihren Eltern leben bzw. leben können und selbst Miete zahlen.
– Ebenfalls benachteiligt sind Studierende, deren Elternhäuser weit von den (geplanten) Standorten der Uni Luxemburg liegen und unter der geplanten Reform lange Pendelzeiten in Kauf nehmen müssten und entsprechende Opportunitätskosten (Zeitverlust, potentieller Verdienstverlust, usw.) erleiden würden.
– Die Universität Luxemburg wird durch diese Regelung der Mobilitätsbeihilfe abgewertet. Es wird finanziell interessanter für einige Studierende aus Luxemburg, ein Studium an der Uni.lu nicht in Betracht zu ziehen.
5) Eine noch erheblichere Diskriminierung findet gegenüber der Kinder von Grenzgänger*innen und ihren Familien statt.
– Kinder von Grenzgänger*innen leben in wesentlich großflächigeren Ländern. Die Distanz zwischen dem Wohnort der Eltern und dem Studienort innerhalb des selben Landes ist in den meisten Fällen nicht so überbrückbar, dass ein Studierender auf den Vorteil „zuhause“ zu wohnen zu können zurückgreifen könnte.
– Schlussendlich wird die Mobilitätsbeihilfe 20% von den Kindern von Gebietsansässigen aber 90% von den Grenzgängerkindern fehlen.
– Auch gibt es Fälle, in denen ein Studierender keine Wahl hat das gewünschte Fach in einem anderen Land zu studieren. Dies gilt etwa für Jura-Studenten die in Frankreich wohnen und französisches Recht auch nur in Frankreich studieren können.
– Claude Meisch verteidigte diese Diskriminierung indem er das Ziel vorgibt, weiteren Grenzgänger*innen Kindern ein Studium auf der „uni.lu“ schmackhaft zu machen. Die Universität Luxemburg bietet allerdings bei weitem nicht die nötige Anzahl an Studienplätzen um diesem Anspruch gerecht zu werden und die Schaffung neuer Studienplätze ist nicht vorgesehen.
– Auch das Kriterium, dass die Eltern der Studierenden mindestens 5 Jahre innerhalb der vergangenen 7 Jahre im Großherzogtum beschäftigt gewesen sein müssen wird u.a. vom LCGB als überzogene und diskriminierende Maßnahme gesehen. Sobald Grenzgänger*innen in Luxemburg Steuern bezahlen haben sie ein Recht auf Sozialleistungen. Wieso sollte die Ausbezahlung von Studienbeihilfen eine Ausnahme sein?
6) Die vorliegenden Kriterien zum Erhalt einer Mobilitätsbeihilfe karikieren die europaweite Unterstützung des eigentlichen Erasmusprogramms. Dieses sieht als Startpunkt eines Austausches NICHT das Herkunftsland des Studierenden, sondern das Land der Universität, an der sich der Studierende aktuell eingeschrieben hat. Für verschiedene Studierende bedeutet dieser Teil der geplanten Studienbeihilfe also: Keine Unterstützung für das eigentliche Studium und dreifache Unterstützung (Universität, EU und Luxemburger Staat) bei einem regulären Erasmus-Austausch während des Studiums.
7) Die Einführung dieser Mobilitätsbeihilfe steht in eklatantem Gegensatz zur Maxime der sozialen Gerechtigkeit und ebenso im Gegensatz zu den Zielen, die das Gesetz selbst mit dem Einführen einer „Sozialen Beihilfe“ anstrebt.
– Es fehlt eine Studie über die sozio-ökonomischen Luxemburg-spezifischen Hintergründe der Studierenden die sich für ein Studium im „eigenen Land“ entscheiden. Es ist unklar, welchen sozio-ökonomischen Hintergrund die betroffenen Studierenden haben.
– Mehrere Studien belegen aber, dass zumindest im europäischen Schnitt sozio-ökonomische Kriterien eine Rolle bei der Wahl des Studienortes spielen. Studierende aus nicht-akademischen Haushalten entscheiden sich etwa öfters zu einem Studium näher an ihrem Elternhaushalt. [2] Der Bildungshintergrund der Eltern ist demnach relevant.
– In seiner Sozialerhebung gibt das Deutsche Studierendenwerk an, dass EU-weit doppelt so viele Studierende mit starkem ökonomischen Hintergrund Studierenden mit ökonomisch schwachem Hintergrund für ein „Studium im Ausland“ entscheiden. [3]
– Schlussendlich werden diejenige Studierenden, die zwar wegen dem Einkommen ihrer Eltern die Soziale Unterstützung nicht einfordern können auf die Mobilitätsbeihilfe zurückgreifen können und im Schnitt wesentlich mehr bekommen als diejenigen, die etwas von der sozialen Beihilfe erhalten.
8) Dadurch, dass durch die Mobilitätsbeihilfe nicht explizit das Verlassen des elterlichen Haushalts begünstigt, sondern in einigen Fällen (falls die Wahl des Studienortes auf eine Universität innerhalb des eigenen Landes fällt) diesem sogar im Wege steht, behindert die Mobilitätsbeihilfe auch explizit die Unabhängigkeit der Studierenden, deren Förderung erklärtes Ziel des Gesetzesvorschlages ist.
Das Aktionskomitee hält fest
1) Ein Mobilitätszuschlag der anhand nur eines unerklärbaren Kriteriums entscheidet, ob Studierende 0€ oder 2000€/Jahr gestellt bekommen verfehlt die realen Bedürfnisse, die durch die Studierendenmobilität entstehen.
2) Die Klausel, welche die Mobilitätsbeihilfe an das Verlassen des Heimatlandes bindet, stellt eine weitreichende Diskriminierung für Studierende, die im Land ihres letzten Wohnsitzes studieren, ggf aber vergleichbare Kosten für Miete und Transport zu stemmen haben, dar.
3) Luxemburg wird als Universitätsstandort abgewertet, da aus finanziellen Gründen ein Studium im Ausland attraktiver erscheint.
4) Eine weitere Folge wird eine Loslösung der Studienwahl von der Qualität des Studiengangs sein. Studierende wählen ihr Studium nicht mehr nach der bestmöglichen Qualität des Angebotes sondern aus finanzieller Notlage ein Studium in einem Land oder einer Stadt welche weniger hohe Lebenskosten bieten. Die Wahl des Studienortes steht dadurch dem Kriterium der Qualität des Studiengangs entgegen.
Das Aktionskomitee schlägt vor
1) Als Reaktion auf den Gerichtsspruchs des EuGH, welches sich ausdrücklich gegen eine Diskriminierung von Grenzgänger*innen ausgesprochen hat,
2) Basierend auf der Maxime des Gesetzestextes 6670, die vorgibt, den realen Lebensbedingungen gerecht zu werden („il prend en compte les frais réels pour subvenir aux besoins de l’étudiant“),
3) In Anbetracht der „Basisbeihilfe“ die die Unabhängigkeit der Studierenden und der „Sozialen Unterstützung“ die eine sozial-gerechte Verteilung zu etablieren sucht und in deren Einklang die Mobilitätsbeihilfe stehen sollte,
4) In Anbetracht des Fehlens einer Impakt-Studie, die realen Kosten für Studierende aufzuzeichnen vermag, die sich aus deren Mobilität ergeben,
5) In Anbetracht der Kritiken des Aktionskomitees,
den Gesetzestext 6670 im Sinne folgender Vorschläge zu modifizieren:
1) Die Mobilitätsbeihilfe muss den realen Kosten, die an die Mobilität des Studierenden gekoppelt sind Rechnung tragen. Eine Studie muss erstellt werden, um diese realen Kosten einschätzen zu können. Um den sozialen Impakt dieser Mobilitätsbeihilfe einschätzen zu können ist ebenfalls eine Untersuchung notwendig.
2) Jede Diskriminierung von Kindern von Grenzgänger*innen sollte vermieden werden.
3) Der Erhalt der Mobilitätsbeihilfe darf nicht an dass Verlassen eines Landes, sondern muss an das Zahlen von Mietkosten gebunden sein.
4) Idealerweise sollten die unterschiedlichen Miet- und Reisekosten der Studierenden bei der Berechnung der Höhe der Mobilitätsbörse in Betracht gezogen werden. (siehe 4)d))
[1] http://deutschegrenzgaenger.lu/de/2014/02/03/dossier-des-bourses-detudes-echange-de-vues-sur-la-reforme-de-la-loi-sur-les-aides-financieres-pour-etudes-superieures/
[2] „Lediglich 27% der Studienberechtigten aus nicht-akademischen Elternhaus studieren an einer über 100km entfernten Hochschule. Bei den Studienberechtigten aus akademischen Elternhaus sind es indes 35%. Dieser Unterschied ist hochsignifikant.“ (Heinemann et al., 2008, 423.) Manfred Heinemann Böhlau Verlag Köln Weimar, 2008 Mobilität und Studium
[3] „Internationalisierung des Studiums“ aus der 18. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks
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c) Soziale Unterstützung und Sozio-ökonomische Hürden
Analyse und offene Fragen
1) Aus dem Gesetzestext geht nicht hervor, wieso die Höhe der „Sozialen Unterstützung“ bei 2.500€ im Jahr liegt.
2) Wie wird das Einkommen des Haushalts berechnet? Werden zusätzlich zu dem in Luxemburg versteuerten Gehältern auch Einnahmen, die nicht in Luxemburg zu versteuern sind, erfasst? Wie steht es mit den Einkünften weiterer Haushaltsmitglieder (zB. Stipendien und/oder Gehälter von Geschwistern)? Wieso wird Vermögen, welches nicht auf das Gehalt von Haushaltsmitgliedern zurückzuführen ist, nicht mitberechnet (Kapital, Immobilien etc.)?
3) Wieso wird die reale Lebenssituation des Haushalts nicht mit einbezogen? Wenn alleine das Haushaltseinkommen aus Gehältern zählt, fehlen substanzielle Merkmale wie: Anzahl der Kinder im Haushalt, Lebensumstände des Haushalts (Alleinstehendes Elternteil, Stiefeltern/Patchwork-Familie), etc.
4) Für viele Fälle ist keine Handhabe vorgesehen: Was passiert, wenn der Aufenthaltsort der Eltern nicht bekannt ist oder sie im Ausland leben und dort rechtlich oder tatsächlich gehindert sind, Unterhalt im Inland zu leisten?
5) Es gibt keine Möglichkeit für eine elternunabhängige Förderung, z.B. für folgende Fälle:
– wenn die Studierenden bei Beginn des Ausbildungsabschnitts bereits das 30. Lebensjahr vollendet haben (und ausnahmsweise trotz dieses Umstands gefördert werden),
– wenn die Studierenden bei Beginn des Ausbildungsabschnitts schon fünf Jahre erwerbstätig gewesen sind, nachdem sie das 18. Lebensjahr vollendet haben,
6) Diese Regelung fördert die emotionale Abhängigkeit der Student*innen gegenüber von den Eltern. Die freie Wahl von Studienfach und -Ort ist gefährdet.
7) Was passiert, wenn die Eltern nicht zahlen wollen? Welchen Betrag müssen Eltern bezahlen? Wie steht es um den Rechtsschutz der Studierenden gegenüber ihrer Eltern?
8) Die soziale Komponente des Gesetzes 6670 stellt lediglich einen Blick auf den Haushalt, nicht aber auf die sozio-ökonomische Realität des/der Studierenden selbst dar. (Verheiratete Studierende, Studierende mit Kind(ern), Studierende mit eigenem Vermögen etc.)
9) Viele Hürden stehen nicht dem Studium generell im Weg, sondern spezifischen, etwa kostenintensiveren, Studiengängen. Auch Faktoren wie Alter, ethnische Herkunft und Geschlecht stellen reale Hürden für den Zugang zu bestimmten Studiengängen dar.
Das Aktionskomitee hält fest
1) Es liegt keine Studie vor, die die real-existierenden Hürden für Studierende aufzeichnet. Die „Soziale Unterstützung“ in der vorliegenden Form ist ein blinder Versuch soziale Gerechtigkeit zu fördern.
2) Das „Haushaltseinkommen aus Gehältern“ als einziges soziales Kriterium bildet die sozio-ökonomische Realität der*des Studierende*n äußerst mangelhaft ab.
3) Bereits das Kriterium „Haushaltseinkommen aus Gehältern“, so wie es im Gesetzestext 6670 vorgesehen wird, ist unzureichend um die wirklichen Reichtumsverhältnisse zu klären.
4) Es sind keinerlei Sonderregelungen für die Vielzahl von möglichen unkonventionellen Fällen vorgesehen.
5) Die Unabhängigkeit der Studierenden wird durch das Gesetz 6670 in Frage gestellt, sie werden als Teil eines Haushalts angesehen, von dem sie sich gegebenenfalls bereits emanzipiert haben.
Das Aktionskomitee schlägt vor
1) In Anbetracht der Tatsache, dass Minister Meisch nach eigenen Aussagen [1] für die Berechnung der „sozialen Unterstützung“ kein bürokratisches Monster schaffen will, dieses aber schon allein im Falle der Umsetzung der „Sozialen Unterstützung“ mit dem Kriterium Gehalt der Eltern unmittelbar bevorsteht,
2) In Anbetracht der Zielsetzung des Gesetzestextes 6670 („il respecte la situation socio-économique de l’environnement dans lequel vit l’étudiant.“), aus der der Wunsch einer sozial-gerechten Verteilung hervorgeht,
3) In Anbetracht der weitreichenden Kritik der CSL, die u.a. die Angaben bezüglich der Anzahl der Studierenden, die von diesem System begünstigt würden, des Ministeriums widerlegt,
4) In Anbetracht des Fehlens einer Impakt-Studie, die die real-existierenden sozio-ökonomischen Hürden der jetzigen und zukünftigen Studierenden aufzuzeichnen vermag,
5) In Anbetracht der Kritiken des Aktionskomitees,
den Gesetzestext 6670 im Sinne folgender Vorschläge zu modifizieren:
1) Der/Die Studierende ist als selbstständiges Individuum anzusehen, das ein Anrecht auf eine staatliche Studienbeihilfe hat, die seine/ihre Selbstständigkeit garantiert.
2) Der/Die Studierende kann zusätzlich zu dieser Grundsicherung eine „soziale Unterstützung“ einfordern, die dann gewährt wird, wenn sozio-ökonomische Hürden eine zusätzliche Belastung des/der Studierenden beim Studienzugang oder auch Studienwahl darstellen.
3) Eine Studie ist anzufertigen um überhaupt erst feststellen zu können, welche sozio-ökonomischen Hürden es für die Studierenden mit Anspruch auf die Unterstützung des luxemburgischen Staates überhaupt gibt.
4) Wie von einer Vielzahl von Organisationen gefordert, soll die Anzahl der Kinder in einem Haushalt zusätzlich zum Einkommen eine Rolle bei der Berechnung der „Sozialen Unterstützung“ spielen.
[1] In der Sendung „Face-a-Face“, Chamber-TV, 28.04.2014
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d) Kredit und Verschuldung
Analyse und offene Fragen
1) Die Höhe des im Gesetzestext 6670 vorgeschlagenen Kredites von 6.500€ im Jahr, wird in keinster Weise begründet. Es ist also nicht nachvollziehbar, welche Kosten dieser Kredit decken soll, bzw. für wen Kosten, die nur mittels Kredit zu decken sind, anfallen werden.
2) Der Kredit ist keine direkte Unterstützung seitens des Staates, er wird als zusätzliche Einnahmequelle für Studenten je nach Zinssatz subventioniert.
– Da der Kredit zuzüglich der Zinsen zurückgezahlt werden muss, stellt er keine finanzielle Erleichterung, sondern eine finanzielle Belastung für Studierende dar.
– Der Kredit ist als eine von vielen alternativen Einnahmequellen zu sehen, auf die Studierende zurückgreifen müssen, falls die übrigen Beihilfen die Ausgaben nicht decken. Je nachdem, welche alternativen Einkommensquellen zu Verfügung stehen und je nach sozio-ökonomischen Hintergrund des*der Studierenden wird es überhaupt erst notwendig auf eine solche Finanzierung zurückzugreifen.
– Die Bedingungen und die Höhe des Kredits sowie die Modalitäten der Rückzahlung sind nicht sozial selektiv gestaltet. Bei ähnlichen Kreditvergaben, etwa in Großbritannien oder in Deutschland gibt es sozial-gestaffelte Möglichkeiten auf Krediterlass die sich u.a. auch dann einstellen, wenn ein Absolvent nach dem Studium keine Arbeit findet.
– Jede dieser alternativen Einnahmequellen (etwa auch ein Nebenjob/ein Arbeitsplatz, eine weitere private Verschuldung oder die Unterstützung durch Verwandte oder Freunde) schafft eine finanzielle und/oder emotionale Abhängigkeit. Konsequenzen dieser Abhängigkeit sind nicht nur die Beeinflussung der Wahl des Studienfachs oder Studienortes sondern auch nachgewiesenermaßen eine Reduktion der Studienleistung.[1]
– Schlussendlich wird der Studierende zu einem Investor in seine Zukunft, seine Finanzierung spielt sich zentral über einen eigenen Kreislauf ab. Der Staat und seine Aufgabe als Bildungsgarant entzieht sich diesem Kreislauf.
3) Da im Schnitt nach Einführung des Gesetzesprojekts mehr Studierende auf den Kredit angewiesen sein werden wird die Verschuldung der Studierenden zur Normalität.
– Einher geht eine deutliche psychische Belastung für Studierende sowohl während des Studiums wie auch bei der anschließenden Jobsuche. [2]
– Es gibt eine unterschiedliche Zielsetzung von den übrigen Leistungen der staatlichen Beihilfe und diesem Kreditsystem. Die Maximen der Reform des Beihilfesystems kommen hier nicht zum tragen, keine Veränderung ist vorgesehen.
4) Dem Kredit liegt die Logik zugrunde, dass ein Studium immer zu einem (besser bezahlten) Job führt. Dadurch wird der Studienabschluss an das Ergreifen eines Jobs gekoppelt
– In Anbetracht der hohen Jugendarbeitslosigkeit auch unter Akademikern ist diese Maßnahme eine schwere Belastung für Studierende.
– Durch diese Maßnahme werden insbesondere geisteswissenschaftliche, kreative und künstlerische Studiengänge, die keine mit anderen Studiengängen vergleichbare finanzielle Perspektive aufweisen können, weniger unterstützt. Durch die Finanzierung des Studiums über Schulden wird die Studienwahl stark beeinflusst.
5) Der unflexible und hohe Zinssatz wird der rezenten Zinsentwicklung nicht gerecht. Zur Zeit ist ein „normaler“ Kredit bei einer Bank vergleichbar verzinst.
6) Das Kreditsystem ist insgesamt vor allem ein gutes Geschäft für Banken.
– Der Staat liefert Kunden und sorgt selbst mit für die Rückzahlung des Kredits durch eventuelle Ausgleichung von Zinsen.
– Der Staat schließt einen Vertrag mit bestimmten Kreditinstituten ab.
Das Aktionskomitee hält fest
1) Es liegt keine Studie für folgende wichtige Fragen vor:
– Welchen sozio-ökonomischen Hintergrund haben Studierende, die auf einen Kredit angewiesen sind
– Welche Konsequenz hat die Belastung durch Schulden für Studium und Arbeitssuche der Studierenden.
– Welchen Impakt hat die Notwendigkeit der Aufnahme eines Kredits auf die Wahl des Studienortes und -fachs.
2) Der Kredit fördert weder die Unabhängigkeit der Studierenden, noch wird er den realen Lebenskosten gerecht und eine soziale Selektivität wird auch nicht durch dieses Instrument erreicht. Dadurch ist diese Maßnahme nicht vereinbar mit der Zielsetzung des Gesetzes.
Das Aktionskomitee schlägt vor
1) In Anbetracht der Zielsetzung des Gesetzestextes 6670 („Le système se veut équitable, il garantit l’indépendance de l’étudiant, il prend en compte les frais réels pour subvenir aux besoins de l’étudiant et il respecte la situation socio-économique de l’environnement dans lequel vit l’étudiant.“),
2) In Anbetracht des Fehlens von Studien, die nötig wären um den Impakt dieses Teils der Studienfinanzierung entschlüsseln zu können,
3) In Anbetracht der staatlichen Aufgabe das Recht auf ein Studium zu garantieren anstatt den Studierenden in Eigenverantwortung sein Studium bezahlen zu lassen,
4) In Anbetracht der Kritiken des Aktionskomitees und weiterer Organisationen,
den Gesetzestext 6670 im Sinne folgender Vorschläge zu modifizieren:
1) Eine Studie entsprechend der Analyse des Aktionskomitees durchführen zu lassen.
2) Den Kredit mindestens für diejenigen zu erhöhen, die wegen Abstrichen bei der Mobilitätsbeihilfe und/oder Sozialbeihilfe nur ein reduziertes Gesamtvolumen erreichen würden.
3) Kriterien schaffen, unter denen es teilweise oder vollständig zu einem Schuldenerlass kommt. Diese sind nach sozio-ökonomischen Faktoren zu gestalten.
4) Die Verzinsung des Darlehens sollte gesenkt oder bestenfalls komplett gestrichen werden.
5) Die direkten Hilfen sind gegenüber des Kredits deutlich zu erhöhen.
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e) Weitere Kritik
Neben den Kritiken an den Pfeilern des von Minister Meisch angestrebten Beihilfesystems müssen bei der Überarbeitung noch weitere relevante Punkte beachtet werden.
1) Der Gesetzestext sieht keine Indexierung der Studienbeihilfen vor.
Das Aktionskomitee erachtet es als sinnvoll, die Studienbeihilfen zu indexieren damit die Höhe der Beihilfen auch zukünftig den realen Lebenshaltungskosten angepasst sind. Die fehlende Indexierung führte bereits in den letzten Jahren zu einer indirekten Senkung der Beihilfen. Die Studierendenorganisation UNEL schlägt die Kopplung an die Preisentwicklung der Eurozone vor.
2) Die Höhe der erstatteten Studiengebühren ist zu niedrig.
Bereits das Beihilfesystem von 2010 sah die Möglichkeit vor, dass Studierende anfallende Studiengebühren bis zu 3.700€ (bei einem Freibetrag von 100€) halb als Kredit halb als Beihilfe erstattet bekommen. Seit 2010 wurde die Höhe dieser Beihilfe nicht angepasst, obwohl es wesentliche Veränderungen gab. So wurden in England zwischenzeitlich Studiengebühren eingeführt, die diesen Rahmen weit übersteigen. Diese Beihilfe muss ständig den realen Studienbedingungen angepasst werden, Statistiken der OECD könnten als Grundlage dienen um eine regelmäßige Anpassung durchzuführen.
3) Die Härtefallregelung wird nicht ausreichend erläutert.
Sowohl das aktuelle System wie auch der Gesetzestext 6670 sehen eine Härtefallreglung vor. Allerdings werden diese Härtefälle nicht weiter spezifiziert, es ist unklar, wer auf diese zurückgreifen kann. Die Statistiken des Gesetzestextes selbst ergeben, dass bisher nicht einmal 15 Studierende pro Jahr von dieser Härtefallregelung profitieren konnten und die Ausgaben für Härtefälle nicht einmal in der offiziellen Finanzkalkulation erwähnt werden. Das Aktionskomitee schlägt deshalb vor die Kriterien neu und bedarfsorientiert zu definieren und aus Transparenzgründen direkt im Gesetzestext zu verankern.
4) Es gibt weder Prozedur noch Rechtssicherheit für Fälle in denen Eltern nicht für Studierende aufkommen wollen/können.
Das Gesetzesprojekt 6670 sieht vor, die Eltern der Studierenden in die Studienfinanzierung ihrer Kinder mit einzubinden. Allerdings sieht das Gesetz für diese Form der Unterstützung keinerlei Verfahren vor.
– So bleibt es etwa unklar bis zu welcher Höhe Studierende Unterstützung bei ihren Eltern einfordern können.
– Es gibt für Studierende kein Recht, die Summe einzufordern, die in ihrem spezifischen Fall nötig wäre.
– Es ist keine juristische Prozedur für die Fälle vorgesehen, in denen Studierende nur noch mit juristischen Mitteln vorgehen können, um die notwendige Unterstützung ihrer Eltern einzuklagen.
– Parallel zur Einführung des Gesetzes wäre zumindest eine Informationskampagne nötig, um Studierende auf ihre Rechte und Eltern auf Pflichten hinzuweisen.
Von alledem abgesehen, scheint es für das Aktionskomitee auch recht schwierig sich vorzustellen die eigenen Eltern vor Gericht zu nehmen, dies ist nur als absolut letzte Lösung zu sehen und wird niemals zur gängigen Praxis werden.
5) Anti-Cumul-Reglung sind nicht ausreichend spezifiziert.
Die neue „Anti-Cumul-Reglung“ lässt viele Fragen offen, darauf haben u.a. Martine Hansen (CSV), die CSL und die CdM hingewiesen. Vorgesehen ist die Summe der im Ausland bezogenen Beihilfen von der Studienbeihilfe in Luxemburg abzuziehen. Hier ist eine Spezifizierung unbedingt notwendig.
Das Aktionskomitee möchte zusätzlich bemerken, dass es äußerst unplausibel erscheint, wenn Claude Meisch einerseits die Einführung weiterer Kriterien bei der „sozialen Beihilfe“ mit dem Argument ablehnt, dass dies einen unüberschaubaren Papierkrieg und Bürokratieaufwand bedeuten würde und dann an dieser Stelle genau dieses Szenario tatsächlich herbeiführt. Wie kann zum Beispiel garantiert werden, dass das Zertifikat des Erhaltens von Beihilfen im Ausland rechtzeitig ausgestellt wird, um es mit dem ausgefüllten Antrag in Luxemburg abzugeben?
6) Unterschiede bei Kosten- und Zeitaufwendigkeit verschiedener Studiengänge werden nicht berücksichtigt.
Die Kosten des Studiums sind nicht nur von Miete und Lebenshaltungskosten der Studienstädte und von den Studiengebühren abhängig, sondern auch von den Mehrkosten die durch die Wahl des Studienfachs anfallen abhängig.
Einige Studiengänge erfordern den Kauf von teurem Lernmitteln (Bücher, Arbeitsutensilien, …), Spitzenreiter in Sachen Mehrkosten ist dabei das Studienfach Zahnmedizin, für das in Deutschland Studierende im Schnitt 780 € jährlich zusätzlich für Lernmittel ausgeben. „Ebenfalls recht hohe Ausgaben haben noch Studierende der Bildenden Kunst (624 €/Jahr) und der (Innen-)Architektur (588 €/Jahr €). Am geringsten waren die Ausgaben bei Studierenden der Ernährungs- und Haushaltswissenschaften (216€Ja hr)“.[1]
Weitere Kostenfaktoren können mehrere Praktika sein, die es zu absolvieren gilt oder Ausgaben für Zusatzkurse (etwa für Repetitorien beim Fach Jura), die unumgänglich sind.
Auf diesen Unterschied wird im Gesetzestext 6670 überhaupt nicht eingegangen.
Auch gibt es wesentliche Unterschiede beim Zeitaufwand, der je nach Studiengang variiert.
Die Sozialerhebung des deutschen Studierendenwerks zeigt: „Der zeitliche Studienaufwand, steht mit dem studierten Fach in einem engen Zusammenhang. Erwartungsgemäß haben Studierende der Studiengattung Medizin, wozu die Fächer Human-, Zahn- und Veterinärmedizin gehören, mit wöchentlich 46 Stunden das umfangreichste studienbezogene Zeitbudget in einer typischen Semesterwoche […] in Fächern der Studiengattung Sprach-/Kulturwissenschaften, in Pädagogik und in Sozialwissenschaften/Sozialwesen das
Studium mit einem unterdurchschnittlichen wöchentlichen Zeitaufwand absolviert wird (32, 31, bzw. 30 vs. 35 Stunden/Woche).“[1] Zu beachten sei auch die Tatsache, dass praktisch jeder Studiengang am Ende zeitintensiver ist als am Studienbeginn.
Beide Faktoren, also studiengangspezifischer Kosten- und Zeitaufwand sind eng verbunden mit den finanziellen Möglichkeiten des Studierenden. So bleibt bei einem zeitaufwendigeren Studium viel weniger Zeit für Erwerbstätigkeit. Kann der Studierende also nicht auf genügend Unterstützung seitens des Staats oder des Elternhauses zurückgreifen wird dadurch u.a. die Wahl des Studiengangs eingeschränkt, die Studienleistung geschwächt oder zumindest die Belastung der Studierenden wesentlich erhöht
7) Die Dauer der Studienunterstützung wird den Bedingungen der Studiengänge und der realen Studien- und Lebenssituation des Studierenden nicht gerecht.
Das „Modell Biltgen sah einen Unterstützungszeitraum für Bachelor-, Master- und Diplomstudien die Regelstudienzeit des Studiums zuzüglich eines Jahres vor. Der vorliegende Gesetzestext 6670 verkürzt den Unterstützungszeitraum für Masterstudien (nur noch Regelstudienzeit). Zu beachten ist, dass die „Regelstudienzeit“ immer nur den kürzesten Zeitrahmen beschreibt, in dem ein Studium absolviert werden kann (auch „Mindeststudienzeit“ genannt). Eine Studiendauer, die die Regelstudienzeit überschreitet kann auch aus qualitativer Hinsicht sinnvoll sein. Zudem gibt es viele Faktoren, die die Studiendauer beeinflussen.
– Für die reale Studiendauer derjenigen Studierenden einschätzen zu können, die zukünftig ein Recht auf die Studienbeihilfe des luxemburgischen Staats haben, fehlt wieder einmal die unbedingt notwendige Datenbasis.
– Die Bachelorstudiengänge, die quer durch Europa angeboten werden fassen ihre Programme in variierende Zeitrahmen. Die „Regelstudienzeit“ existiert meist nur auf dem Papier, um die „Mindeststudienzeit“ festzuhalten. So kann etwa ein Erasmusaustausch über ein Jahr von einer Uni als gleichwertig zu einem Semester anerkannt werden. Auch kann bei einigen Studiengängen das Überschreiten der Regelstudienzeit extrem sinnvoll sein, um sich für das Semesterprogramm, etwaige Praktika oder Austausche mehr Zeit zu geben. Voraussichtlich werden sich auch weit weniger Student*innen für einen Auslandsaufenthalt entscheiden, da dieser in fast allen Fällen die Studiendauer verlängert.[2]
– Minister Meisch argumentiert, ein Wechsel des Studiengangs sei ein sehr häufig auftretendes Phänomen. Grund ist auch der Mangel an Studienorientierungsangeboten. Dass Studierende sich während des Bachelorstudiums noch in der Wahl ihres Studienfachs umentschieden, innerhalb des Studienprogramms Fächer hinzu- bzw. abwählen oder ein angefangenes Studium als Basis zur Anmeldung für einen anderen Studienplatz mit höheren Zugangsvoraussetzungen nehmen, ist weit verbreitete Normalität. Im übrigen gilt dieses Phänomen, welches nichts über die Qualität der insgesamt absolvierten Studienleistung aussagt, auch für Studierende aus Masterstudiengängen. Das deutsche Studierendenwerk belegt sogar, dass Studienwechsel während des Masterstudiums häufiger vorkommen: „Master-Studierende haben anteilig genauso häufig wie andere Studierende den Studiengang gewechselt (jeweils 17 %). Allerdings gehören sie etwas häufiger zu jenen, die das Studium unterbrochen haben (11 % vs. 9 %). Deutlich häufiger hingegen kommen bei Master-Studierenden Hochschulwechsel vor: Mit 34 % ist der Anteil der Hochschulwechsler(innen) unter ihnen fast dreimal so hoch wie unter den Studierenden der anderen Abschlussarten (12 %).“ [1]
– Überbrückungs- und Vorbereitungssemester sind Normalität. Ist etwa eine angemessene Vorbereitung auf eine PhD-Programm nicht parallel zum Masterstudium möglich, werden viele Student*innen auch seitens der Universitäten dazu angehalten die Studienzeit zu verlängern. Fangen Studierende im Sommersemester anstatt im Wintersemester mit dem Studium an, dauert das Studium spätestens beim Übergang zum weiterführenden Studium automatisch länger. Da oft nicht alle Kurse über das ganze Jahr angeboten werden sondern in eigenen Zyklen ablaufen, ist das Absolvieren des Studiums in der Regelstudienzeit auch von den Universitäten selbst nicht vorgesehen.
– Soziale Herkunft: Wieder fehlen die Studien. Vergleichsweise hält die Sozialerhebung des deutschen Studierendenwerks fest, dass „die Studenten mit niedriger sozialer Herkunft im Schnitt sehr viel länger als andere Studenten brauchen. Beträgt das Verhältnis der Studenten hoher sozialer Herkunft zu Studenten niedriger Herkunft 4:1 bis zum 13. Semester, so beträgt es ab dem 13. Semester nur noch 2:1. Hieraus folgt, dass Studenten niedriger sozialer Herkunft von den oftmals zu diesem Zeitpunkt fälligen Langzeitstudiengebühren überproportional betroffen sind“[2].
– Natürlich ist die Studiendauer auch abhängig davon, ob die Studierenden zur Finanzierung ihrer Lebenshaltungskosten einen Job parallel zum Studium annehmen müssen. Durch die Kürzungen des vorliegenden Gesetzestextes werden voraussichtlich wesentlich mehr Studierende mehr Arbeitszeit zusätzlich zum Studium einplanen müssen und deshalb auch länger für das Studium brauchen.
– Für Studierende im Teilzeitstudium oder Dualstudium sowie für Studienunterbrecher*innen ist keine besondere Reglung vorgesehen. Ebenso gibt es keine Sonderreglung für Menschen mit einer gesundheitlichen Beeinträchtigung.
Im Allgemeinen ist das Aktionskomitee der Meinung, dass zeitlicher Druck niemals die Qualität des Studiums steigert. Das vorliegende Gesetzesprojekt wird voraussichtlich durch die allgemeine Kürzung der Beihilfen für viele Studierende auch eine längere Studiendauer mit sich ziehen. Gleichzeitig die Dauer der Unterstützung für Masterstudent*innen zu kürzen ist schlicht unverantwortlich.
8) Es ist keine Übergangsphase vom „System Biltgen“ zum „System 6670“ geplant.
Das Gesetz 6670 soll bereits zum kommenden Wintersemester vollständig in Kraft treten, ohne dass eine Übergangsphase vorgesehen ist. Das Aktionskomitee weist auf Probleme hin, die dadurch entstehen werden.
– Viele Studierende haben ihr Studium im Glauben geplant, über ihre gesamte Studiendauer auf den Betrag zählen zu können, den das „System Biltgen“ vorgesehen hatte. Für einige Studierende bedeutet die Reform den plötzlichen Verlust von 4500€/Jahr. Wegen hohen Einschreibegebühren, hohen Materialkosten, hohen Miet- und Lebenshaltungskosten, die nun nicht mehr gedeckt werden können, werden einige Studierende ihr Studium abbrechen müssen.
– Welches Gesetz gilt für diejenigen, die sich bereits mitten im Studium befinden? Beispiel: Da das geplante System eine andere Unterstützungsdauer für Masterstudent*innen vorsieht, ist unklar ob Studierende, die im kommenden Wintersemester ihr fünftes Masterstudiensemester beginnen ein Recht auf Unterstützung haben.
9) Beihilfedauer: Neustart nach Studienabbruch?
Das Gesetzesprojekt sieht keine spezifische Maßnahme für diejenigen vor, die nach einem (vielleicht bereits mehrere Jahre zurückliegenden) Studienabbruch erneut ein Studium anfangen möchten. Zumindest müsste deutlich werden, dass diesen Studienabbrecher*innen zu einem späteren Zeitpunkt wiederum die vollständige Beihilfedauer gewährt wird. Immerhin sind Studienabbrüche oft Härtefällen geschuldet, bzw. von Studierenden nicht zwangsläufig selbst verschuldet (Beispiel: Auflösung des Studiengangs).
10) Die Freibeträge für eigene Einkünfte müssen erhöht werden.
Studierende welche ein „zu hohes“ Nebeneinkünfte, etwa durch Erwerbstätigkeit haben, darunter ev. auch Einkommen aus (Pflicht-)Praktika, verlieren das Anrecht auf einen Teil der Studienbeihilfen. Viele Fragen bleiben offen: Wird das Einkommen des Studierenden zum Gesamteinkommen des Haushalts gezählt? Hat das Einkommen eines Studierenden einen Impakt auf auf die „Soziale Unterstützung“ der Geschwister?
Das Aktionskomitee kritisiert den Fakt scharf, dass durch das vorliegende Gesetz einerseits vielen Studierenden weniger Mittel gestellt bekommen, andererseits der Freibetrag für eigene Einkünfte nicht erhöht wird. So ist es für Studierende nicht möglich, den Verlust den diese Reform mit sich zieht selbst auszugleichen. Auch für Teilzeitstudierende ist keine besondere Reglung vorgesehen. (Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass das Aktionskomitee die Notwendigkeit einer Erwerbstätigkeit, die parallel zum Studium erfolgt als extreme Belastung scharf kritisiert.)
11) Das Gesetzesprojekt 6670 hat einen wesentlichen Impakt auf die finanzielle Situation von Doktoranden, PhD-Studierende und Forscher*innen.
Das Aktionskomitee weist darauf hin, dass die Reform der Studienbeihilfe auch einen wesentlichen Impakt auf die finanzielle Situation von Doktoranden, PhD-Studenten und Forscher*innen hat, die zur Zeit auch ein Recht auf die Studienbeihilfe haben. Das Gesetzesprojekt muss entweder wesentlich detailierter auf die Situation von diesen Fällen eingehen, oder eine komplett neue Form der Unterstützung müsste hier geschaffen werden, so das Studienbeihilfe und Postgraduierten-Unterstützung getrennt voneinander funktionieren.
– Die Studienkosten und Lebenshaltungskosten erhöhen sich für Studierende in den PhD-Programmen, da u.a. oft Krankenkassenbeiträge und Versicherungen selbst bezahlt und junge, hochqualifizierte Forscher*innen nach einer langen Studienzeit in einer Lebensphase angekommen sind, in der sie an die Gründung einer Familie denken.
– Die Verschuldung derjenigen, die etwa nach ihrem Masterstudium ein PhD-Programm starten, ist zu diesem Zeitpunkt bereits sehr hoch, eine noch höhere Verschuldung ist nicht mehr zumutbar.
– Quer durch Europa werden Postgraduiertenstudierende von Universitäten zu sehr unterschiedlichen Tarifen bezahlt, finanzieren sich über Stipendien oder schreiben ihre Doktorarbeit parallel zu einer Erwerbstätigkeit. Es gibt eine Vielzahl von spezifischen Fällen, für die das Gesetzesprojekt 6670 keine Sonderreglung vorsieht.
– Die Mobilitätsbeihilfe, die Studierende, mit Elternhaus in Luxemburg praktisch als „Daheim wohnende“ klassiert, wird im Fall von Forscher*innen der Uni.lu besonders absurd.
– Das Gesetz sieht keine Beihilfedauer für ein Postgraduiertenstudium vor.
– Die Kürzung der Studienbeihilfe wird die Situation für Forscher*innen an der Uni.lu verschlechtern. Da parallel zum Gesetzestext 6670 Einsparungen in der Budgetplanung der Uni.lu vorgesehen sind, ist davon auszugehen, dass die Uni.lu diese Gehaltslücken nicht selbst ausgleichen wird. Verhandlungen zwischen Regierung und Forscher*innen der Uni.lu sind dringend notwendig.
Luxemburg zählt zu den Unterzeichnern eine EU-Charta [1] zur fairen Bezahlung von Forscher*innen. In diesem Zusammenhang muss auch die faire Unterstützung für PhD-Studierende, bestenfalls durch Sonderreglungen bei der Studienbeihilfe finanziert werden.
12) Die Umsetzung des Gesetzesprojekt zieht einen extremen Bürokratieaufwand mit sich
Gegen einige Vorschläge zum Beispiel die sozialen Kriterien auszuweiten, wird oft das Argument des zu sehr wachsenden administrativen Bearbeitungsaufwandes gebracht. Doch schon mit dem vorliegenden Vorschlag von Minister Meisch wird der Aufwand zur Prüfung der Nachweise jedes Einzelnen sich vergrößern. Besonders die Bearbeitung der Formulare, die den „Anti-Cumul“ sicherstellen sollen, sowie Prozeduren, die nötig sein werde um mit den vielen absehbaren Härtefällen umzugehen. Dem muss also eine personelle Aufstockung im Cedies entgegen gesetzt werden, deren Ausmaß noch nicht ersichtlich ist.
13) Eine erhebliche Aufklärungs- und Informationsarbeit ist von Seiten des Ministeriums nötig.
Zum Gesetzestext 6670, aber auch schon davor, werden Informationen zum System der Studienbeihilfen sehr knapp gehalten oder nicht gut verbreitet. Das Aktionskomitee wünscht sich, dass das Ministerium eine bessere Aufklärungs- und Informationsarbeit leisten würde.
Zum Beispiel sind in der Broschüre des CEDIES [1], welche (zukünftige) Studierende über die Studienbeihilfen informieren soll, keinerlei Informationen zu der Härtefall Regelung oder zu dem Fall wenn Studierende zusätzliche Kosten durch ihr Studienfach haben (z.B. Zahnmedizin) eine extra Beihilfe anfragen können [2] zu finden. Aus dem Gesetzestext 6670 geht jedenfalls nicht hervor welche die zu erfüllenden Kriterien zum Erhalt dieser zusätzlichen Beihilfen sind. Das Ministerium sieht in der Nichtinformation wahrscheinlich eine Einsparung, da Studierende keine Anfragen stellen wenn sie nicht wissen, dass dies ihnen zusteht. Das Aktionskomitee ist der Meinung, dass falls das Gesetzesprojekt 6670 mit den bisher geplanten Einsparungen durchgesetzt wird, das Ministerium den Studierenden genau diese Informationen schuldig ist.
14) Die Neuregelung für „anerkannte Studien“ ist problematisch.
Das „System Biltgen“ sah eine Unterstützung für alle Studierenden vor, die an Universitäten oder Hochschulen studierten, welche von staatlicher Unterstützung profitieren. Weitere Details über die Kriterien, die eine Universität, bzw. eine Hochschule zu erfüllen hatten, wurden nicht genannt. Der Gesetzestext 6670 sieht hier nun erstmals eine feste Reglung vor: „Le programme d’enseignement supérieur et le cycle d’études doivent être reconnus par l’autorité compétente du pays où se déroulent les études comme relevant de son système d’enseignement supérieur.“
Dieser Aspekt des neuen Gesetzes wirft einige Fragen auf:
– Werden durch diese Spezifizierung Beihilfen für Studierende gestrichen, die bisher unterstützt wurden? Ist eine Übergangsregel vorgesehen?
– Einige Hochschulen werden zwar nicht vom eigenen Land als gleichwertig mit eigenen Universitäten anerkannt, gelten jedoch international als reguläres Studium. (Dies trifft für viele Kunsthochschulen aber zB. auch Pilotenschulen zu). Teilweise berechtigt so ein „nicht anerkanntes“ Studium ein weiterführendes Studium.
– Auszubildende aus Luxemburg haben eventuell das Anrecht auf die Studienbeihilfen zur Absolvierung einer Ausbildung im Ausland. Hier ist allerdings nicht die Anerkennung durch die jeweilige nationale Behörde ausschlaggebend, sondern eine Liste, die der luxemburgische Staat zusammenstellt. Diese Prozedur steht nun im Widerspruch zur Reglung, die das Gesetzesprojekt 6670 vorsieht. Wer entscheidet den nun: der luxemburgische Staat oder die nationale Behörde im Land des Studien/Ausbildungsplatzes?
– Die vorgesehene Reglung wird dazu führen, dass an Studienverlauf und Abschluss gleichwertige Studiengänge abhängig vom Studienland finanziert werden. Die luxemburgische Studienbeihilfe wird so nicht abhängig vom Studium an sich, sondern vom Land in dem das Studium stattfindet.
Das Aktionskomitee ist der Meinung, dass eine einfachere und transparentere Prozedur über eine öffentliche Liste mit von der luxemburgischen Regierung anerkannten Abschlüssen zu erreichen ist, anstatt jeweils nationale Regelungen in Betracht zu ziehen und dabei eventuell eine Diskriminierung der Wahl des Studienlandes in Kauf zu nehmen.
15) Einschränkung für Grenzgänger*innen durch Arbeitsdauer von min. 5 Jahren.
Für Kinder von Grenzgänger*innen gibt es eine weitere diskriminierende Klausel. Die Eltern dieser Studierenden müssten zum Zeitpunkt der Beihilfenanfrage während min. 5 der letzten 7 Jahre in Luxemburg gearbeitet haben.
Grenzgänger*innen sind aber nicht erst ab 5 Jahren Steuerzahler*innen und haben somit ein Recht auf soziale Leistungen von Anfang an. Dieser Umstand wurde auch schon vom LCGB kritisiert. [1]
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3) ÖFFENTLICHE DEBATTE
Die folgenden Abschnitte wurden mit der Absicht verfasst ein Bild von der aktuellen öffentlichen Debatte aufzuzeichnen. Das Gesetz 6670 wird neben dem tatsächlichen auch einen großen symbolischen Impakt haben. Spätestens seit dem Streik am 25ten April und der seither nicht mehr abreißen wollenden medialen Aufmerksamkeit ist klar, dass es hier um weitaus mehr geht als um eine technische Verhandlung über Paragraphen.
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a) Kritik einzelner Organisationen
Der Widerstand gegen das vorliegende Gesetz ist groß und kommt aus vielen verschiedenen Richtungen. Neben Studierendenverbänden, Parteien und Jugendpartei-Organisationen, praktisch allen Gewerkschaften des Landes und Künstler*innenkollektiven sind auch Schüler*innenkomitees, Jugendverbände (u.a. der Dachverband der luxemburgischen Jugendvereine) und viele Einzelpersonen aktiv. Direkt Betroffene, d.h. Schüler*innen, Student*innen und Eltern sowie Absolvent*innen und Sympathisanten.
Beim Betrachten der einzelnen Statements der Organisationen wird deutlich, dass die Forderungen des Aktionskomitees im Kreise der Kritiker durchaus konsensfähig sein könnten.
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b) Rhetorik und öffentlicher Diskurs der Regierung
Die Regierung setzt bei Präsentation und Verteidigung des Gesetzestextes auf eine ganz bestimmte Rhetorik, die nicht nur zu kurz greift sondern auch Ressentiments schürt. Es wird versucht die Diskussion zu entsachlichen und zu pauschalisieren. Das Aktionskomitee möchte betonen, dass die Art-und-Weise wie die öffentliche Diskussion stattfindet ein sehr wichtiger Teil der Auseinandersetzungen um das Studienbeihilfensystem ist und das anhand einer Regierungsdiskursanalyse bereits deutlich wird, dass zumindest Minister Meisch darauf setzt, eine inhaltliche Diskussion zu vermeiden.
– Die Notwendigkeit zu sparen wird in den Vordergrund des Diskurses gestellt.[1] Dadurch wird aus der Diskussion um eine gerechtes Studienbeihilfensystem eine Diskussion um Sparmöglichkeiten der Regierung. Das Aktionskomitee versucht im Zuge dessen immer wieder, die Diskussion zum eigentlichen Thema zurückzuführen. Gelingt dies nicht, wird versucht zumindest darauf hinzuweisen, dass die Investition in Bildung sich auch für den Staat langfristig finanziell rechnet.
– Pauschale Vergleiche mit anderen Ländern werden von der Regierung herangezogen um Kritik an niedrigen Beihilfen als „Luxusproblem“ abzustempeln. Diese Vergleiche sind oft nicht nur verkürzt oder falsch, sie setzen die Länder in Konkurrenz zueinander unter dem Motto: das schlechteste System gewinnt. Ziel dieser Vergleiche ist es auch, den Studierenden moralisch das Recht abzusprechen, für ein gutes Beihilfensystem zu kämpfen. Das Aktionskomitee macht klar, und der rege Austausch mit anderen europäischen Studierendenorganisationen verdeutlicht dies, dass der Protest in Luxemburg auch ein Zeichen für ganz Europa sein soll, dass in die Jugend investiert, anstatt bei der Jugend gespart werden soll.
– Das Bild der „verwöhnten Studierenden“ wird bedient. Claude Meisch hält den Studierenden fälschlicherweise gerne die Selbstverständlichkeit vor, neben dem Studium einer Erwerbstätigkeit nachzukommen.[2] Diese Art des Diskurses projiziert nicht nur einen Generationenkonflikt herauf, er karikiert auch die realen Lebensbedingungen der Studierenden, denen ja immerhin für ihre Fulltime-Uniarbeit Geldmittel gewährt werden, mit denen sie in Luxemburg unter der Armutsgrenze liegen. Auch ignoriert Claude Meisch die prekären Arbeitsverhältnisse, in die sich Studierende vielerorts begeben um sich finanziell über Wasser zu halten. Eine komplette Realitätsferne tritt dann hervor, wenn Claude Meisch seinen eigenen Studienverlauf als Beispiel heranzieht.[3] Das Aktionskomitee versucht diese Neiddebatte zu entschärfen und weist immer wieder darauf hin, dass eine Erwerbstätigkeit 1) bereits von vielen Studierenden geleistet wird, 2) immer einen negativen Impakt auf die Studienleistung hat und 3) eine psychische Belastung darstellt.
– Leider beinhaltet die öffentliche Diskussion auch fremdenfeindliche Momente, die zumindest indirekt von der Regierung genährt werden [4]. Ursprung für Ressentiments ist der immer wiederkehrende Hinweis auf das Gerichtsurteil des EuGH, welches die Diskriminierung von Grenzgänger*innen zu beenden suchte. Das Aktionskomitee stellt die paneuropäische Solidarität in den Vordergrund und setzt sich bewusst auch stark für die Rechte der Grenzgänger*innen ein. Wünschenswert wäre das Signal der Politik, dass es kein Nachteil, sondern eine Selbstverständlichkeit ist ein System zu schaffen, dass auch den Kindern von Grenzgänger*innen die nötigen Mittel zur Verfügung stellt.
[1] „Wir sind über Details diskussionsbereit – innerhalb des Koalitionsabkommens und der budgetären Zwänge.“ http://www.gouvernement.lu/3680444/26-meisch-tageblatt
[2] „Darüberhinaus sei es keine Unehre, wenn sich die Studierenden mit Nebenjobs ein kleines Zubrot hinzuverdienen“ http://www.wort.lu/de/view/studienbeihilfen-der-teufel-steckt-im-detail-5314918de4b0b50317ab0017
[3] http://www.gouvernement.lu/3572305/17-meisch-rtl?context=3422950
[4] RTL: „Wat seet den Educatiounsminister zur Kritik dat op Käschten vun de Studente gespuert gett?“ – Claude Meisch: „D’Zuel vun den Notznéisser vun eise Boursen dermoossen an d’Luucht gaangen ass, well d’Kanner vun den Frontalieren lo drenner falen an de Budget vun 88 Mio op 178 Mio riskeiert huet heichzeklammen […]“ http://replayaudio.newmedia.lu/2014/04/15/5f94bf66e5b0e03142749f7266fb9a68.mp3
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c) Rhetorik unter Studierenden und Schüler*innen
Neben der allgemeinen, öffentlichen Debatte ist die angekündigte Reform natürlich Gegenstand vieler Diskussionen in Studierendenkreisen.
– Schuld- und Schamgefühle dominieren des Öfteren den Umgang mit diesem Thema. Die Studierenden sind sich bewusst, dass sie gegenüber ihren europäischen Kolleg*innen (mit Ausnahme von Studierenden aus skandinavischen Ländern) oft weniger große finanzielle Sorgen haben. Diese Schuldgefühle sind jedoch eher emotional verankert, denn klar ist, dass die im Gesetzestext 6670 geplanten Kürzungen den Kommiliton*innen natürlich nicht helfen. Das Aktionskomitee ist deshalb bemüht darauf hinzuweisen, dass der Kampf um ein faires, bedarfsorientiertes Studienbeihilfensystem in Luxemburg gleichzeitig auch ein europaweites Signal ist.
– Die Beihilfe wird von einigen Studierenden generell nicht als „Recht“, sondern als „Geschenk“, bzw. als „Gabe“ verstanden. Das Aktionskomitee setzt sich dafür ein, dass bei den Studierenden ein gesundes Verständnis von einem modernen Sozialstaat aufkommt und Studierende staatliche Beihilfen nicht als Almosen sondern als gezielte Investition verstehen.
– Immer weiter verbreitet sich die indirekte oder direkte Diskriminierung von Student*innen. Ein Herabschauen auf diejenigen, die „nur“ in Luxemburg studieren macht sich breit. Dazu gehört die Vorstellung, dass die Student*innen der Uni.lu weitaus niedrigere Lebenshaltungskosten hätten. Das allgemeine Herabschauen wird durch das Gesetzesprojekt 6670 institutionalisiert, da hier „in Luxemburg studieren“ mit „Zuhause wohnen“ gleichgesetzt wird. Das Aktionskomitee versucht gegen diese Vorstellung vorzugehen, indem darauf hingewiesen wird, dass es keine Studie über die sozio-ökonomischen Hintergründe oder die Studiensituation der Uni.lu-Student*innen gibt.
Die aufgeführten Aspekte des Diskurses unter Student*innen weisen darauf hin, dass das Gesetzesprojekt 6670 einerseits, wie Austeritätspolitik im allgemeinen tut, ein Klima des Neids heraufbeschwören kann. Das Aktionskomitee versucht diesem entgegenzuwirken, in dem es die Solidarität der jungen Generation untereinander durch den gemeinsamen Kampf gegen diese Sparpolitik vorantreibt.
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d) Vorgehen des Aktionskomitees
In der Auseinandersetzung um den Gesetzestext 6670 kommen dem Aktionskomitee eine Vielzahl an Aufgaben zu. Ziel der Gründung war es, Kräfte zu bündeln (was auch angesichts der Belastung jedes der Mitglieder notwendig war) und den Protest zu institutionalisieren. Nur ein breites Bündnis konnte selbst die anfallende Öffentlichkeits- und Informationsarbeit leisten, die medialen Auftritte koordinieren auch bei Forderungen zur Verhandlungsform in die Offensive gehen. Das Aktionskomitee versucht zu vermeiden, dass der Protest bereits durch die Federführung der Regierung bei Verhandlungen wie auch bei der Außendarstellung des Verhandlungsprozesses marginalisiert zu werden.
– Das Aktionskomitee ist basisdemokratisch organisiert, alle Mitglieder engagieren sich unentgeltlich und in ihrer Freizeit. Das Aktionskomitee versucht, soweit es die eigenen Mittel und die Zeit erlaubt, gezielt Mitglieder aus verschiedenen Milieus und mit verschiedenen Hintergründen zu integrieren. Schüler*innen, Studierende, PhDler*innen sowie Auszubildende, arbeitslose Absolventen sowie angestellte Forscher*innen sind aktiv.
– Die Protestbewegung versucht einen positiven Diskurs um den Gesetzestext 6670 zu führen. Konstruktive Kritik wird mit symbolischen Elementen des Widerstands verbunden, die den „Kampf für eigene Rechte“ anstatt dem „Kampf gegen den Minister/ die Regierung“ transportieren sollen.
– Das Aktionskomitee setzt bewusst auf eine hohe Präsenz im Internet, u.a. um die Studierenden einzubinden, die sich ja bekanntlich quer durch Europa in unterschiedlichen Städten aufhalten.
– Die Organisation eines Schüler*innen- und Studierendenstreiks diente einerseits der Aufklärung und Mobilisierung derjenigen, die im Vorfeld noch nicht erreicht werden konnten. Zudem wurde hier ein Mittel geschaffen, dem Protest von den Betroffenen Ausdruck verleihen zu können und alle Protestierenden die Chance zu geben sich zu solidarisieren, selbst aktiv zu werden und ein Zeichen zu setzen. Durch die Kundgebung von 17.000 Studierenden rückte die Diskussion um die Studienbeihilfen auch in den Fokus der Medien und der Öffentlichkeit. Das Aktionskomitee stellte in mehreren Pressemitteilungen nach dem Streik klar, dass die Verhandlungen zwischen Protestierenden und Regierung nun wesentlich transparenter werden müssten um dem berechtigtem Interesse von Betroffenen und der Öffentlichkeit gerecht zu werden.
– Ein weiteres Zeichen setzten die Protestierenden mit einer 5857 mal unterzeichneten Petition, die sich mit drei sachlichen Forderungen an die politischen Entscheidungsträger wandte. Die Petition wurde am 10. Mai eingereicht.
Das Aktionskomitee ist der Überzeugung, dass ehrlicher, öffentlicher Dialog, Demokratie und Transparenz in der Politik nicht nur leere Floskeln aus Wahlkampfzeiten sein dürfen. Die Regierung steht also in der Verantwortung die Diskussionen und auch die eigenen Verhandlungsstandpunkte öffentlich zu machen.
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e) Tatsächliche Vorgehensweise der Regierung
Jenseits des Diskurses der Regierung stehen die Schritte die auf dem institutionalisierten Weg bereits gegangen worden sind.
– Viele Organisationen, die dem Aktionskomitee angehören, blicken ernüchtert auf die Treffen im Bildungsministerium zurück, die vor der Einbringung des Gesetzestextes stattfanden (Beispiel LCGB: [1]). Es scheint, dass die so im Vorfeld gebrachten Einwände bei der Ausarbeitung des Gesetzestextes gänzlich ignoriert wurden. Einzige Konsequenz der bisherigen Treffen ist die Möglichkeit des Bildungsministers behaupten zu können, man habe bereits verhandelt. Dies suggeriert der Öffentlichkeit natürlich eine Verhandlungsbereitschaft, die nie existierte.
– Bereits mit der Zustimmung zum Haushalsplan 2014 legitimierte die Regierung indirekt das Gesetzesprojekt 6670. Die Summe der Einsparungen wurde darin bereits beschlossen. Zwar könnten die Ausgaben schlussendlich natürlich doch noch steigen, ein Signal der Regierungsfraktionen war die Abstimmung über den Haushalt dennoch.
– Die Reaktion seitens der Regierung auf den Streik ist sehr zurückhaltend. Minister Meisch spricht öffentlich nicht über Zugeständnisse und verschanzt sich hinter seinem Angebot, Vertreter des Aktionskomitees gerne hinter verschlossenen Türen empfangen zu wollen. Somit versucht die Regierung, einer zu breiten Debatte aus dem Weg zu gehen und wiederum suggerieren zu können, man hätte mit den Studierenden verhandelt ohne ein Verhandlungsresultat vorweisen zu müssen.
– In mehreren Fällen konnte das Aktionskomitee dem Bildungsminister bereits Unehrlichkeit vorhalten, etwa bei der von Marc Hansen im Parlament voreilig bestätigten Bereitschaft des Aktionskomitee sich mit Minister Meisch hinter verschlossenen Türen treffen zu wollen oder auch über Aussagen des Bildungsministers gegenüber RTL, er wüsste Nichts über Forderungen des Aktionskomitees [2], wobei er ebendiese Forderungen am Tag des Streikes gegenüber dem Radiosender 100komma7 noch ausführlich kritisierte [3].
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4) VERHANDLUNGSPOSITIONEN UND KONSENSVORSCHLÄGE
a) Gemeinsame „Minimalforderungen“
Aus den vorliegenden Kritikpunkten ergeben sich einige Forderungen, deren Durchsetzung das Aktionskomitee einerseits als Kompromiss-Angebot an die Regierung sieht, andererseits als minimale Verbesserungsansätze, um denen vom Gesetz selbst definierten Zielen gerecht werden zu können. Hauptsächlich mit folgendem Forderungskatalog möchte sich das Aktionskomitee an die Gesetzgeber*innen wenden.
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b) Notwendigkeit eines komplett anderen Systems?
In letzter Konsequenz stellen die Kritiken des Aktionskomitee (sowie übrigens auch die Analyse des CSL) die Notwendigkeit dar, noch einmal grundsätzliche Überlegungen über Ziel- und Umsetzung des Beihilfesystems zu diskutieren. Zentraler Mangel ist dabei nicht so sehr die Unterteilung in einzelnen Beihilfe-Säulen oder die Zielsetzung des Gesetzestextes, sondern vielmehr die Umsetzung und das komplette Fehlen von unbedingt notwendigen Studien. Der Gesetzestext schafft also ein System, dass eine Antwort auf einzelne Kostenaspekte des Studienlebens darstellen soll, ohne dass der „Bedarf“ der Studierenden oder deren sozio-ökonomische Realität untersucht wurde.
Die Idee der Aufteilung in Basis-, Mobilitäts- und Sozialbeihilfe wurde von Anfang an von diversen Organisationen, etwa der UNEL, der ACEL oder auch des LCGB durchaus begrüßt. Die eklatanten Mängel in der Umsetzung dieser Idee müssen trotzdem nicht zwangsläufig zu ihrer Beerdigung führen.
Das Aktionskomitee fordert deshalb zwar eine komplette Überarbeitung des Gesetzestextes, nicht aber unbedingt ein völlig anderes System. Sollten sich allerdings die Verhandlungen verhaken, oder sich herausstellen, dass beispielsweise durch die Umsetzung einer Beihilfe, die wirklich die „sozialen Kriterien“ miteinbezieht, ein Bürokratiemonster entstehen würde, muss die Option bestehen bleiben, weiter von der aktuellen Idee abzuweichen.
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c) Konsensmöglichkeiten und Verhandlungspositionen der Regierung
„Ech hätt gären, dat jiddwereen deen well studéiere goen, dee kann studéieren goen, dat de kann studéiere goen, dat en déi Moyenen huet wann en doheem net gehollef kritt dat en dann vum Staat ënnert d’Äerm gegraff kritt iwwert d’Form vun enger Bourse, iwwert d’Form vun engem Prêt, dat muss och déi nei Regelung leeschten, an dorunner hätt ech och gären dat se gemooss gëtt.“ (Claude Meisch 24.04.14 – 100komma7) [1]
Die Abänderung des Gesetzestextes liegt hauptsächlich in der Hand des Ministers Claude Meisch und seines Ministeriums. Allerdings steht im Hintergrund dieser Debatte noch ein anderer Akteur und eine andere Thematik: der Finanzminister und das Staatsbudget. Kommende Abänderungen werden von der Regierung aus voraussichtlich immer nur Aufgrund von Budgetfragen bewilligt oder abgelehnt werden: eine fatale Ausgangsposition für die Reform des Studienbeihilfesystems (siehe Kapitel 1d).
Der Konsensvorschlag der UNEL [2], einer der Organisationen des Aktionskomitees, kam praktisch zeitgleich mit dem Gesetzestext 6670 auf den Tisch. Es war von Anfang an klar, dass die zahlreichen Einwände sich nicht hauptsächlich gegen die Zielsetzung des Gesetzestextes richten würden, sondern die Reform als Kürzung kritisieren. Anstatt einer Richtungsdiskussion wird demnach eher eine Finanzierungsdiskussion stattfinden.
Zwei Argumente wird die Seite der Regierung schlussendlich ins Feld führen können.
1) Dass es einen budgetären Rahmen gibt, der einer substantiellen Veränderung des Gesetzestextes im den Weg stehen wird. Dabei wird man zukünftig versuchen, die genaue Dimension dieses Rahmens nicht zu benennen, da man in der Öffentlichkeit den Eindruck einer Bedarfsorientierung wahren möchte.
„Mit der aktuellen Reform wollen wir die Ausgaben auf 109 Millionen zurückführen […] Wir müssen uns den neuen finanziellen und budgetären Gegebenheiten stellen und das machen wir besser jetzt, als dass wir noch sechs Monate oder ein Jahr warten.“ (Claude Meisch – 29.04.14 Land) [3]
2) Dass das Berücksichtigen mehrerer Faktoren einen wesentlich höheren bürokratischen Aufwand für die Behörde CEDIES mit sich bringen würde. Indirekt ist dies natürlich wiederum eine Kostenfrage.
„Scheinheetsfehler kann een gesinn doranner dat mer keng spezifesch Leisungen hunn fir Familljen déi méi Kanner hunn, woubäi ech nach emmer warnen op de Wee ze goen, well ech hätt gären ee System, deen iwwerschaubar ass, deen einfach ass, deen och fir d’Administratioun einfach ze handhaben ass.“ (Claude Meisch – 24.04.14 100komma7) [1]
Die Frage ob das vorgestellte Gesetz den eigenen Ansprüchen (Unabhängigkeit, Bedarfsorientiertheit, soziale Gerechtigkeit) gerecht werden kann wird schnell beantwortet sein. Das Aktionskomitee und seine Partnerorganisationen werden in Verhandlungen in jedem Fall aufzeigen können, dass das System 6670 den Bedürfnissen von Studierenden nicht gerecht werden kann. Neben diesem vorliegenden Bericht bedeuten sowohl die Schlussfolgerungen der CSL wie auch die Schlussfolgerungen der CdM dass der Staat, sollte er den eigenen Ansprüchen gerecht werden wollen, mehr Geld in die Hand nehmen muss.
Die Evaluation dessen, was Claude Meisch seit dem Vorstellen seines Projekts als Verhandlungsspielraum definiert hat, lässt jedoch vermuten, dass kein Interesse daran besteht den „Bedarf“ festzustellen.
– Meisch 24.04.14 100,7 (ab 0:32) „Et sinn Proposen do am Raum oder Fuerderungen am Raum, notament vum Streikkomitee, d’Bourse de Base soll quasi verduebelt ginn, vun 2000€ op 4000€ dat hätt ee Käschtepunkt vun d’office 50 Mio. méi, dann gett et eng Rei vun anere Proposen, och vum Streikkomitee dei an ähnlecher heicht herno baal nachengkeier geigen nidderschloen do well ech ganz kloer soen, do brauche mer net ze rechnen, dat ass net meiglech, dat ass net denkbar.“ [1]
– Tageblatt 25.04.14: Die Lage sei kompliziert, sagte Meisch nach der Ministerratssitzung. Man bleibe aber bei der Linie, wie im Regierungsprogramm festgelegt. Es seien aber gute Vorschläge gemacht worden. Der Text sei noch nicht definitiv, räumte Meisch ein. Einige Details und Härtefälle könnten noch diskutiert werden. [4]
– L’essentiel 25.04.14: Hochschulminister Claude Meisch sagte nach der Sitzung des Ministerrats am Freitag, er verstehe die Demo als «klares Signal». «Die Demonstration fand breiten Zuspruch. Ich bin zufrieden, dass sich junge Leute engagieren und zeigen, dass die Veränderungen ihnen nicht gleichgültig sind», sagte der Minister auf Anfrage von «L’essentiel». Er bleibe offen für Gespräche und sei bereit, die Reform «qualitativ» zu verbessern – an welchen Stellen, blieb offen. [5]
– „Ech huelen dat Signal dat vun deene Jonke Leit ausgaangen ass [Meisch spricht über den Streik] ganz eescht […] Mir mussen et weiderhin hei zu Letzebuerg jidderengem ermeiglechen deen Studium maachen ze kënnen, deen hien gären hätt fir säin Liewensprojet kënnen ze verwierklechen an wann deen Text, deen mer virgeluecht hunn, wou ech dovunner ausgaangen sinn dat deen dem Zil do awer schon ganz no kennt, wa mer deen nach kënnen punktuell verbesseren […] da wäerte mer dat och maachen.“ Claude Meisch 28.04.14 ChamberTV [6]
– Wort 28.04.14: Bildungsminister Claude Meisch ist bereit, notwendige Korrekturen am Gesetzprojekt 6670 zu den Studienbeihilfen vorzunehmen. Dazu Stellung beziehen will er aber erst, nachdem das Gutachten des Staatsrates vorliegt. [7]
– Tageblatt 08.05.14 „Die Regierung hält aber weiter an ihren ursprünglichen Plänen fest, was die Studienbeihilfen betrifft. Sie will nichts Substanzielles am Gesetzentwurf ändern. Lediglich Details und Härtefälle könnten noch diskutiert werden.“ [8]
– Claude Meisch 08.05.14 RTL (ab 0:36) „Ech hunn och festgestallt dat ech nach neierens heieren hunn wat dann lo déi Konkret Fuerderungen vun dem Streikkomitee sinn an vun all den Manifestanten an Associatiounen dei um Streik bedeelegt woren.“ [9]
Über diese vagen Andeutungen, die das Thema Studienbeihilfen immer wieder an den finanziellen Rahmen koppeln, schafft der Minister ein Klima, in dem die Verhandlungen nicht auf einer inhaltichen Ebene geführt werden können. Dass der Minister sich weigert einen komplett offenen Ausgang von Verhandlungen in Aussicht zu stellen, verkompliziert die Lage.
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d) Ideen für eine bedarfsorientierte Gestaltung der Beihilfen
Sollte es doch wirklich das Ziel der Regierung sein, mit der Reform der Studienbeihilfen deren Orientierung nach Bedarf herzustellen, gäbe es Pisten, denen sich Minister Meisch aber bisher verschlossen hat. Diese Maßnahmen allerdings gänzlich ohne Kenntnis über den Impakt durchzuführen wäre unverantwortlich. Einige Pisten möchte das Aktionskomitee aufzeichnen, über die durch eine bedarfsorientierte Studienbeihilfe eine gerechte Umverteilung stattfinden könnte.
– Studierende, die es tatsächlich vorziehen, während des Studiums im Haushalt der Eltern zu leben haben selbstverständlich niedrigere Kosten. Über eine Umgestaltung der Mobilitätsbeihilfe (wie das Aktionskomitee sie vorschlägt) kann hier eine bedarfsgerechte Verteilung punktuell zweckfreie Ausgaben vermeiden. Da die Mobilitätsbeihilfe so die Funktion bekommt, die realen Lebenshaltungskosten zu decken, könnte dieser Teil der Beihilfe das Hauptinstrument zur Herstellung einer Bedarfsorientierung werden.
– Über einen Länder-, bzw. Städteindex der tabellarisch als Basis zur Auszahlung der Mobilitätszulage zur Verfügung steht, könnte diese Beihilfe recht einfach an die realen Lebenshaltungskosten angepasst werden.
– Auch die Gestaltung des Kredits lässt noch Möglichkeiten offen, die Reform der Studienbeihilfen bedarfsgerecht zu gestalten. So könnte etwa, wie es beispielsweise das englische System vorsieht, ein Teilerlass des Kredites unter bestimmten Konditionen gewährt werden, etwa für den Fall, dass der*die Studierende trotz erfolgreich abgeschlossenem Studium keine Arbeit findet.
– Die Dauer der Studienbeihilfe könnte ebenfalls flexibel gestaltet werden. Nicht nur um bessere Rahmenbedingungen für diejenigen zu schaffen, die wegen physischen, psychischen oder sozio-ökonomischen Faktoren einen höheren Zeitbedarf haben, sondern auch, um das zivilgesellschaftliche Engagement der Studierenden zu stärken. (In Österreich wurden so beispielsweise „Toleranzsemester“ geschaffen. Abhängig von der Funktion welcher Studierende über einen gewissen Zeitraum in der Österreichischen Hochschüler*innenschaft (ÖH) nachgehen, ist es ihnen möglich sich bis zu 4 Toleranzsemester anrechnen zu lassen. Unter dieses Engagement fallen nicht nur die Wahrnehmung von Ämtern innerhalb der ÖH, sondern auch z.B. die Organisation von Erstsemestrigentutorien. [1])
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5) FAZIT
Mit dem Gesetzesprojekt 6670 legt Minister Claude Meisch keine bedarfsorientierte Reform, sondern ein reines Kürzungsprogramm vor. Für die Regierung gilt dem Anschein nach das Motto „Studierendenverschuldung anstatt Staatsverschuldung“.
Das Aktionskomitee konnte belegen, dass dieses Gesetz den eigenen Zielen nicht gerecht werden kann. Das geplante Studienbeihilfensystem kann weder die Unabhängigkeit der Studierenden garantieren, noch werden die realen Lebenshaltungskosten berücksichtigt. Auch sozial gerecht ist das neue System bei weitem nicht. Um eine Bedarfsorientierung angehen zu können, fehlen die notwendigen Studien. Bisher basiert der Gesetzestext auf pauschalen Vermutungen zu der realen Studiensituation und dem sozio-ökonomischen Hintergrund der Studierenden. Nur eine vollständige Überarbeitung des Gesetzestextes könnte die vielen Widersprüche, Ungereimtheiten und Fehler beheben. Die Analysen und konkreten Verbesserungsvorschläge des Aktionskomitees bieten eine gute Grundlage für eine solche Überarbeitung.
Zusätzlich ist eine Kursänderung der Regierung im Umgang mit dem Protest am Gesetzestext und dem öffentlichen Interesse an der Thematik dringend geboten. Anstatt das Thema unter den Teppich kehren zu wollen und inhaltliche Argumente mit Ablenkungsmanövern zu kontern, sollte die Regierung damit anfangen, den versprochenen Weg der partizipativen, transparenten Politik anzutreten. Es bleibt nur wenig Zeit für die Regierung, um sich gegenüber der protestierenden Jugend nicht völlig ins Abseits zu manövrieren.
Der Regierungswechsel im Oktober 2013 könnte tatsächlich eine neue politische Ära eingeläutet haben. Die Ära einer politisierten Jugend, deren Glauben an einen politischen Wandel durch Wahlen nun endgültig gebrochen ist, die im Umkehrschluss aber bereit ist, zur Verteidigung ihrer Rechte und für ihre Zukunft auf die Straße zu gehen.
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